6587775-1952_05_11.jpg
Digital In Arbeit

Im Zeichen Wilhelm Furtwänglers

Werbung
Werbung
Werbung

Vor kurzem meldeten deutsche und österreichische Blätter, daß Wilhelm Furtwängler wieder die Oberleitung und Betreuung der Berliner Philharmoniker übernommen habe; den mit dem West-Berliner Senat „auf Lebenszeit" abgeschlossenen Vertrag bestätigte der Künstler mit einem Brief, dessen letzter Satz lautet: Damit bin ich also wieder Berliner!'

Die langjährige und intensive Bindung Furtwänglers an die Berliner Philharmoniker ist bekannt. Trotzdem wäre es etwa zwischen 1945 und 1948 vielleicht möglich gewesen, den Süddeutschen Furtwängler für Wien zu gewinnen. Nun, wir haben ihn nicht ganz verloren, er kommt wenigstens einmal im Jahr. Und wer diese beiden letzten Musikwochen, die im Zeichen Furtwänglers standen, miterlebt hat, wird den Philharmonikern und der Staatsoper dafür dankbar sein daß sie sich immer wieder bemühen, den großen Dirigenten nach Wien zu bringen.

Eine festliche Aufführung der Walküre" (mit Helene Werth als Brünhilde, dem Berliner Ludwig Suthaus als Siegmund, Ludwig Hofmann, Josef Hermann und Hilde Konetzni), ein Philharmonisches Brahms-Konzert, das zweimal wiederholt wurde (mit den Philharmonikern W. Boskowky und E. Brabec als Solisten im „Doppelkonzert) und ein Mozart- Konzert im Schönbrunner Schloßtheater, bei dem Paul Badura-Skoda als Solist mitwirkte: alle diese Veranstaltungen bezeugten eine Universalität, die vom eleganten Serenadenstil (»Gran Partita"K. V. 361) über Beethovens Neunte" im Nicolai-Konzert und den Tristan die uns noch bevorstehen, bis zum Feuerzauber" reicht.

Jede dieser Veranstaltungen hatte ihre besonderen Höhepunkte und Revelationen: wie Furtwängler — Musiker unter Musikern — mit den philharmonischen Bläsern Mozarts bestklingende und eleganteste Serenade Nr. 10 musizierte; wie Pathos und Größe, Klanggewalt und lyrischer Zauber der „Walküre - Partitur verwirklicht wurden; wie in den Haydn-Variationen und in der 1. Symphonie von Brahms das dichte polyphone Gewebe für das Ohr des Hörers gelockert wurde und sich über manche Partien jenes Sfumato legte, das den eigentümlichsten Zauber Brahmsscher Musik bildet — dies alles ist einzigartig und kann nur eben angedeutet werden. Die Philharmoniker spielten unter Furtwänglers Leitung wie kein anderes Orchester.

Der Chronist vermerkt, daß bei diesem Gastspiel auch eine kleine — gewissermaßen obligate — Dissonanz nicht fehlte. Von einem Großteil der Wiener Kritik war eine der Hauptdarstellerinnen in der Walküre nur mit Vorbehalten akzeptiert worden. Das veranlaßte Dr. Furtwängler zu der in einer Wiener Tageszeitung wiedergegebenen Bemerkung: Die Zeiten haben sich geändert, man kann nicht noch immer die Maßstäbe aus der Zeit Anna Bahr - Mildenburgs nehmen.' Ferner hätten die „politischen Verhältnisse' Wien, das einst der musikalische Mittelpunkt der Welt war, gleichsam in eine Isolation gedrängt'. Daher habe man hier nicht mehr ganz den richtigen Überblick.

Nun, die „politischen Verhältnisse', unter denen wir leben, sind uns wohlbekannt; aber wir glauben, daß Wien trotzdem noch die Weltmetropole der Musik geblieben ist. Und seit wann gelten in der Kunst nicht mehr die absoluten, sondern relative Maßstäbe?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung