6610701-1954_50_11.jpg
Digital In Arbeit

Wilhelm Furtwängler t

Werbung
Werbung
Werbung

Schw rze Fahnen wehen von den großen Musikinstituten Wiens, von der Staatsoper und vom

Musikverein, von Konzerthaus und Musikakademie. Wilhelm Furtwängler ist nicht mehr. Den Veranstaltungen in diesen Räumen hatte er, sobald er ans Dirigentenpult trat, Würde, Glanz und magische Anziehungskraft verliehen. In ihm war die große deutsche Musik des 19. Jahrhunderts lebendig wie in kaum einem anderen. 40 Jahre seines Lebens standen im Zeichen des Dreigestirns Beethoven- Brahms-Bruckner. Das Temperament des Romantikers entzündete sich besonders an den Bühnen- werken Wagners und Webers. Furtwängler war ein deutscher Dirigent. Er kam aus der Sphäre der deutschen Klassik und Romantik und setzte in ihrem Umkreis seine bedeutendsten Leistungen als Interpret. Auch als Komponist war er ihr verhaftet: ein Fortsetzer der großen Tradition des 19. Jahrhunderts. Seine Wiedergabe von Werken Verdis, Tschaikowskys, Dvoräks oder Ravels ist unvergessen. Trotzdem lagen diese am Rande seines Gesichtsfeldes, desgleichen das meiste aus der zeitgenössischen Produktion. In jüngeren Jahren, zuletzt noch vor zwei Dezennien, als es besonders riskant war,

setzte er sich für einzelne „moderne“ Werke ein.

Aber hier mochten ethische Ueberlegungen und charakterliche Konsequenz schwerer gewogen haben als die Ueberzeugung vom wirklichen musikalischen Wert des Geförderten.

Wie die meisten großen zeitgenössischen Orchesterleiter führte Furtwängler, besonders seit 1945, das Leben des typischen „Reisedirigenten". Aber nicht Betriebsamkeit war der Motor dieser rastlosen, nervenverzehrenden Tätigkeit, sondern der wachsende Anspfuch der ganzen Welt. Trotz dieser ständigen Ueberbeanspruchung war in Furtwänglers Dirigieren nie auch nur eine Spur von Routine zu bemerken. Alles „Handwerkliche“ wurde in jedem Konzert, bei jedem einzelnen Werk im Feuer der Intuition und der sich immer neu entzündenden Begeisterung weggeschmolzen. Ein Wunder, daß das, was so von Herzen kam, auch den Zuhörern ans Herz griff?

In Wien trat Furtwängler, kaum bemerkt, ,1913 zum erstenmal auf. Seit dem Ende des ersten Weltkrieges war er ein ständig wiederkehrender Gast in der Staatsoper und besonders bei den Philharmonikern. Diese sind, als Körperschaft, durch seinen plötzlichen Tod am härtesten betroffen. Aber es trauern um Wilhelm Furtwängler nicht nur Deutschland und Oesterreich. Aus den Pressestimmen, die uns nach seinem Tod aus Paris, London und den USA erreichen, spricht nicht nur die Trauer um den Verlust eines großen Dirigenten, sondern auch eines großen. Menschen, der eine ehrwürdige Tradition, ein Stück Alteuropa verkörperte.

Seinem hochgeschätzten Kollegen hat der in den USA lebende Weltbürger Bruno Walter einen ergreifenden Nachruf gewidmet, der mit den Worten schließt: „Es ist kein Zweifel, daß. Furtwängler jene Größe innewohnte, die es ihm ermöglichte, die Größe in der Musik zum Ausdruck zu bringen, und ich bin sicher, daß sein Leben, das so erfüllt war von der tiefen Hingabe an die Musik, in die Musikgeschichte der Welt eingehen wird.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung