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Sänger — Dirigent — Regisseur

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Vor eineinhalb Jahren ist Wilhelm Furtwängler gestorben. Nun ist ihm der größte der noch lebenden ganz großen Dirigenten, der „grand old man” der Orchesterführer, Arturo Toscanini, im Tod nachgefolgt. Waren die Leistungen dieses Taktstockmagiers auf dem Gebiet der Oper und des Konzerts — was bei vielen anderen nicht der Fall ist — gleich hervorragend, so scheint seine besondere Liebe, vor allem in den ersten Dezennien seiner künstlerischen Tätigkeit, doch der dramatischen Musik, also der Oper, gegolten zu haben.

Beschäftigt man sich mit der Frage, welchen Gruppen von reproduzierenden Künstlern bei der Aufführung einer Oper die größte Wichtigkeit, ja eine direkte Vorherrschaft beigemessen wurde, so zeigt sich ein interessanter Wechsel im Lauf der Zeit. Im 17. und im weitaus überwiegenden Teil des 18. Jahrhunderts waren es die Sängerinnen und Sänger, die Primadonnen und Primi uomini {unter diesen in erster Linie die Kastraten), denen die größte, fast alleinige Bedeutung beigemessen wurde. Ihren Wünschen und Starallüren hatte sich sogar der Komponist in vielen Fällen zu fügen, der für sie Arien und Ensembles umändern mußte, sofern sie dies nicht selbst Vornahmen; selbstverständlich war es, daß sie sich Kadenzen und Fiorituren ganz nach ihrem Geschmack zurechtlegten. Auch bedeutende Komponisten — mit wenigen Ausnahmen, wie beispielsweise Händel— wagten es nicht, sich den Prätentionen dieser Gesangakrobaten zu widersetzen, geschweige denn die Kapellmeister, welche die längste Zeit eine untergeordnete Rolle spielten.

Erst das 19. Jahrhundert brachte hier eine Aenderung, indem der Dirigent mehr in den Vordergrund trat, was sich in der Qualität der Aufführungen deutlich auswirkte. Doch wuchs die Stellung des Kapellmeisters nicht zu der gleichen Bedeutung heran, wie dies früher bei den Sängerstars der Fall war. So wurde der Name des Dirigenten oft gar nicht genannt, wie dies z. B. in Wien noch zur Zeit eines Gustav Mahler gebräuchlich war. In den ersten Dezennien unseres Jahrhunderts trat in der Aufführungspraxis der Oper ein neuer, immer mehr an Geltung gewinnender Faktor in Erscheinung: der Regisseur. Seine früher untergeordnete Rolle entwickelte sich vor allem im Zusammenhang mit den großen Regie- und Stilschulen, welche die Prosabühnen zu Ende des 19. Jahrhunderts aufzuweisen hatten: die Meininger, Otto Brahm, Hagemann und andere, die in Jeßner während der zwanziger Jahre einen bedeutenden Neuerer und Nachfolger fanden. Dies hat viel dazu beigetragen, daß die Tätigkeit des Regisseurs auch auf der Opernbühne immer mehr in den Vordergrund trat, der eine führende Stellung übernahm.

Die letzte große „Wachablösung” im Opernbetrieb brachten die vergangenen 30 Jahre: Dem Dirigenten wird die bedeutendste Einflußnahme, eine immer mehr sich ausdehnende Kompetenz für alles zugewiesen, was mit der Aufführung eines musikdramatischen Bühnenwerkes zusammenhängt, dergestalt, daß er nicht nur in den musikalischen Belangen für Sänger und Orchester die Führung übernimmt und, obwohl nur Nachschaffender, dem Werk seine eigenpersönliche, zwingende Auffassung aufprägt, indem er auch Regie und Bühnenbild in seine Wirkungssphäre einzubeziehen sich bestrebt.

Die bisher unternommenen Versuche, dem Dirigenten offiziell auch die Spielleitung zu überlassen, haben, selbst wo es sich um prominenteste Persönlichkeiten handelte, nur selten eine geglückte, vollgültige Leistung gebracht, wenn auch der „Regisseur-Dirigent” die Ideallösung ergäbe. Dadurch würde ein Ueberwiegen entweder der szenischen Darstellung einerseits oder der musikalischen Ausdeutung anderseits ausgeschaltet und ein einheitliches künstlerisches Konzept verwirklicht, wie es vollkommener kaum möglich wäre: allerdings unter der Voraussetzung, daß der Opernsänger sich in den Singschauspieler zu verwandeln vermag, wobei bei aller anzustrebenden Homogenität der Sänger an erster Stelle stehen müßte. Bel der Erörterung dieser Probleme sei noch darauf hingewiesen, daß in letzter Zeit vielfach Schauspielregisseure als Spielleiter der Oper herangezogen werden, Versuche, welche häufig ein wenig befriedigendes Resultat ergeben und immer wieder zeigen, wie schwer die ideale Lösung zu erreichen ist: die Einheitlichkeit und Geschlossenheit einer vollendeten Opernauffüh- rung/’wekhtfm o ftf:e des eiwä oder anderen mitwi’rkenden Künstler? — Sängers, Dirigenten oder Spielleiters — ausschließt.

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