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Furtwängler und die Philharmoniker

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Die Reihe der großen Konzertzyklen, die Musikverein und Konzerthausgesellschaft, Philharmoniker, Tonkünstler und Wiener Kammerorchester angekündigt haben, wurde mit einem Konzert der Philharmoniker unter Wilhelm Furtwängler eröffnet. Das Programm umfaßt das dritte Brandenburgische Konzert von Bach, „La mer“ von Debussy und die zweite Brahma-Symphonie (und zwar in dieser Reihenfolge; Bach — Brahms im ersten Teil upd Debussy im zweiten wäre logischer und, trotz der verschiedenen Länge der beiden Abteilungen, mehr zu empfehlen gewesen). Die Meisterschaft von Furtwänglers Brahms-Interpretation ist so bekannt und gültig, daß wir uns eine Aufzählung ihrer Vollkommenheiten versagen. Sehr eindrucksvoll, aber diskutabel, war die Darbietung des Bachschen Werkes. Anläßlich des Bach-Festes wurde die ewig neue Frage der Besetzung und Interpretation der „Brandenburgischen“ auch an dieser Stelle gestreift. Vor die Wahl gestellt zwischen großer und kleiner Besetzung, entschieden wir uns ohne Zögern für die bessere Aufführung. Furtwängler ließ das G-dur-Konzert von einem ganz großen Streichorchester mit zehn Kontrabässen spielen und kleidet damit das kraftvoll-pathetische Viervierteltaktthema in ein üppig-prächtiges Klanggewand. Wenn im zweiten Satz mit seiner lebhaften Zwölfachtelbewegung die Kontrabässe das Thema aufnehmen, so klingt es freilich nicht mehr nach Musik des Dix-huitiime, sondern eher nach dem Donnern des „Pacific“ von Honegger. Doch erweist sich im ganzen, daß Substanz und Gewebe dieser Musik so dicht sind, daß man sie gleichsam auch durch ein Vergrößerungsglas betrachten kann. Selbstverständlich ist mit dieser „philharmonischen“ Besetzung nicht die Transparenz eines Kammerorchesters zu erreichen, doch war die Kraft des Eindrucks an vielen Stellen stärker. Und kommt es letzten Endes nicht darauf an? — Debussys berühmtes symphonisches Trlptychon hört man so selten in guter oder auch nur befriedigender Wiedergabe, daß man an der Ausführbarkeit dieser Partitur (und damit an einer ihrer entscheidenden Eigenschaften) allmählich zu zweifeln begann. Vor bald zwanzig Jahren interpretierte Toscanini „La mer“ im gleichen Saal und — wenn ich mich recht erinnere — auch mit demselben Orchester. Jener Aufführung kam später keine mehr gleich. Die von Furtwängler mit den Philharmonikern rückt in ihre nächste Nachbarschaft. Die Konturen der zusammenhängenden Teile wurden nie zu grob, aber etwas kräftiger nachgezeichnet, als wir es von französischen Dirigenten gewohnt sind. Dadurch vermied Furtwängler die pointillistische Wirkung, die etwa Signac auf seinen Bildern bewußt anstrebt. Im ganzen entstand weniger der Eindruck von „Skizzen“ — wie Debussy die drei Teile im Untertitel nennt — als der eines nachromantischen Gemäldes in harmonischen und leuchtenden Farben. — Es gibt kaum ein Werk, das an die Klangkultur eines Orchesters so unerbittliche Anforderungen stellt wie „La mer“. Wieder einmal erwiesen sich die Philharmoniker als ein Ensemble von Virtuosen, von denen jeder einzelne erst unter einer elastischen Hand voll zur Entfaltung kommt. — Den Philharmonikern haben wir es auch zu danken, daß das Tuch zwischen Wien und einem der größten lebenden Dirigenten (Ehrenmitglied des Singvereins und der Gesellschaft der Musikfreunde) nicht ganz durchschnitten wurde.

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