Weil mir so fad ist ...

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"Der Zerrissene" als origineller Burgtheater-Beitrag zum Nestroy-Jubiläum.

Dein Leben, liebes Publikum, wird hier beleuchtet, sagt die jüngste Burgtheater-Inszenierung schon an ihrem Beginn: Scheinwerfer blenden die Zuschauer, ehe "Der Zerrissene" von Johann Nestroy nicht gerade als die ursprüngliche Posse mit Gesang über die von Katrin Brack als Einheitsraum gestaltete Bühne geht. Da wechseln keine biedermeierlichen Szenenbilder, sondern da dreht sich ein Karussell um ein vielfältig verwendbares, aufklappbares Holzgebilde.

Resultiert in Nestroys "Jux" die Unruhe der Hauptfigur Weinberl daher, dass er noch nichts erlebt hat, so glaubt der "Zerrissene", der reiche Herr von Lips, nichts Neues erleben zu können. Sein Leben ist ein Ringelspiel der Fadesse: Er bewegt sich, eifrig dem Alkohol und dem Zigarettenkonsum zugetan, stets nur im Kreis: "Meiner Seel', 's is a fürchterlichs G'fühl, wenn man selber nicht weiß, was man will!"

Erst kokettiert er mit Selbstmord, dann mit der Idee, die erste Frau, die ihm begegnet, zu ehelichen. Dass diese Madame Schleyer ein recht turbulentes Vorleben hat und einer ihrer früheren Verehrer, der cholerische Schlosser Gluthammer, sich mit Lips prügelt, treibt die Handlung voran: Kapitalist und Handwerker verfallen dem Wahn, den jeweils anderen im Teich ertränkt zu haben, flüchten aufs Land, und erst nach langen Verwicklungen können beide aufatmen - Lips an der Seite einer neuen Braut, der jungen, ihn treu verehrenden Kathi.

Die Andeutung der Regie im Schlussbild, dass auch dieses Liebesglück zerbrechlich ist, folgt dem heutigen Trend, in Kenntnis der Biographie Nestroys seine Happy-Ends mit Fragezeichen zu versehen. Das ist legitim, fällt doch im Stück unter lebhaftem Gelächter der Satz: "Dafür is ja eben's Heirat'n erfunden, dass 's nix mehr nutzt, wenn's einem reut."

Nestroys hier besonders ausgeprägter Wortwitz, aber auch die Gestaltung einzelner Szenen reihen den "Zerrissenen" unter seinen Spitzenwerken ein: etwa die Verlesung von Lipsens Testament oder die nächtliche Begegnung der einander für Geister haltenden Kontrahenten Lips und Gluthammer ("Der ganze Erdboden is unterminiert, die Schlosser schießen wie d' Spargel in d' Höh'!").

Karlheinz Hackl geht als Lips wie schon seinerzeit als Weinberl voll in seiner Rolle auf, schafft den Wandel vom gelangweilten Dandy zum Existenzangst fühlenden Mordverdächtigen und gewinnt schließlich wieder Lebensfreude, als er als "Verlebter, Verliebter, Verlobter" vor seiner Braut steht: "Jetzt seh' ich's erst, dass ich nicht bloß in der Einbildung, dass ich wirklich ein Zerrissener war. Die ganze eh'liche Hälfte hat mir g'fehlt, aber gottlob, jetzt hab' ich s' g'funden, wenn auch etwas spät."

Regisseur Georg Schmiedleitner lässt das Stück todernst beginnen und gemäßigt fröhlich enden, was man als durchaus logisch und keineswegs als fortschreitendes Verwässern eines Regiekonzeptes empfindet. Er liefert einen nicht konventionellen, aber erkennbaren und dem Autor weitgehend gerecht werdenden, originellen Nestroy, der sich - obwohl nicht alle Einfälle überzeugen - wohltuend vom Castorf-Debakel vor einigen Jahren unterscheidet.

Die Akteure sind durchwegs zu loben, besonders Robert Meyer (Gluthammer), der in jeder Hinsicht die Nestroy-Funken sprühen lässt, Birgit Minichmayr (Kathi), die offenbar in jeder Rolle ihr Talent umsetzen kann, Kitty Speiser (Madame Schleyer), die glaubwürdig Männer im scheinbar reiferen Alter um den Finger wickelt, und Branko Samarovski (Krautkopf), der zwischen Kraut und Rüben dieser Inszenierung die Übersicht behält.

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