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„Der Zerrissene“ in Hamburg

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Von Johann Nestroy stammt das Libretto. Boris Blacher hat es musikdramaturgisch eingerichtet und in den zweiten Akt drei wichtige Texteinlagen von Carl Merz und Ernst Roth aufgenommen. Gottfried von Einem hätte sich für die Komposition seiner dritten Oper keine bessere Grundlage wünschen können. Süddeutsche und Österreicher allerdings, für die Nestroys gallige Satire einen lebendigen Begriff bedeutet, dürften einen gewissen Abstand feststellen zwischen Nestroy uh t Gottfriedt von ’Einem;'aii

Der Komponist hat Witz und Humor. Er'b'čkCnritsich melodisch offen Zu der Schlichtheit und Innigkeit einer volkstümlichen Gestalt wie der Pächtersnichte Kathi, die schließlich Frau Lips wird. Fast alle Figuren sind musikalisch klar umrissen und werden zu ariosen und Ensemblestationen geführt, die eine musikalische Steigerung des dramatischen Dialogs bedeuten. Nur die Titelpartie bleibt unterhalb von Nestroys Charakterbegriff „Der Zerrissene“. Einems Herr von Lips ist eher ein stücktragender Kavaliersbariton aus der Opera buffa, der von Situation zu Situation und schließlich zu einem mehr äußerlich als innerlich begründeten Happy-End geführt wird. Trotzdem eine dankbare Partie, in der bei der Hamburger Uraufführung Tom Krause, ein biedermeierlicher Playboy, auch die gesanglich dominierende Leistung vollbrachte.

Oscar Fritz Schuh bewies mit der Inszenierung, welch souveräner, klug differenzierender und fein pointierender Regisseur er auf einem Kunstgebiet noch immer sein kann, dessen Liebe dem Schauspielintendanten Schuh nur noch bedingt gehört: in der Oper. Das Gesellschaftsleben im Hause des reichen, übersättigten Herrn von Lips wird mit bezeichnender Echtheit dargestellt. Glänzend geführt, aus der musikalischen Form entwickelt sind die Terzettgruppen der Freunde und Bedienten. Mit schau- spielhaftem Realismus wird der Ringkampf zwischen Herrn von Lips und dem Schlosser Gluthammer vorgeführt, wonach jeder der beiden sich für den Mörder des vermeintlich ertrunkenen anderen hält. Helmut Melchert steuert als Gluthammer eine Studie in tenoraler Wut bei.

Die Szenerie ist nach Skizzen von Caspar Neher durch den Hamburger Ausstattungsleiter Alfred Siercke als echtes Biedermeier ausgearbeitet worden. Alpenlandschaft blickt durch die Fenster herein. Am Happy-End bringt man sogar den Mut zur szenischen Schnulze auf, was als Ironie wirkt. Unaufdringlich wurde die Bühnentechnik eingesetzt: Mit Hilfe der Schiebebühne ließen sich die Schauplätze zwanglos variieren, wobei sich einleuchtende Arrangements für musikalische Ensemblenummern ergaben.

Wolfgang Sawallisch fand in der Partitur eine sogar für den Dirigenten dankbare Aufgabe vor. Das Orchester klingt, und die Sänger sind nicht nur auf den Regisseur angewiesen. Unter Sawallischs befeuernder, sicher steuernder Hand hörte man (außer den schon erwähnten) respektable Gesangsleistungen von Edith Mathis (Kathi), Elisabeth Steiner (Madame Schleyer) und dem drastischen Toni Blankenheim (Pächter Krautkopf).

Was einige Buhrufe, die am Schluß gegen den Komponisten gezielt wurden,

eigentlich wollten, ließ sich nicht ent rätseln. Das Gros des Premierenpubli kums bedankte sich stürmisch auch be Gottfried von Einem. Er hat eine beton unmoderne Oper, aber eine Oper, ge schrieben. Man trifft in der Musik viel gute Bekannte wieder, vom Richarc Strauss des „Capriccio“ und der „Ara bella“ bis zur „Schneider-Wibbel“-Opei Mark Lothars. Stärker jedoch als di Anwendung verfügbarer Modelle bestrick’ Einems musikdramaturgische Selbständig keltį mit der er zu Formen fügt und: it wahrhaft dramatischem Fluß -hält, was e für sein bühnengerechte Mnsizierlust-’ar Einfällen und kaschierten Zitaten para hat. Es mag dabei nur eine „Gebrauchs oper“ herausgekommen sein. Aber sii wird ihren Weg und dem Opernpublikun Freude machen.

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