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Orestie und Haydn-Oper

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Velimir Lukic, 30 Jahre alt und Schauspielintendant des Belgrader Nationaltheatens, schrieb die tragikomische Farce „Das lange Leben König Oswalds”, die vor kurzem in Graz ihre deutschsprachige Erstaufführung erlebte. König Oswald kehrt aus dem Krieg heim, seine Gattin und deren Liebhaber bereiten ihm ein Agamemnon-Schicksal, Tochter und Sohn spielen Elektra und Orest, inklusive Mord am neuen König, jedoch exklusive Mutteimord. Der Kronrat, bestehend aus teils blinden, teils stummen billardspielenden Honoratioren, bestätigt schweigend das Todesurteil über die Königskinder. Diesen wird aber vorher das Gehirn noch gründlich gewaschen, und so kann denn das lange Leben des Königs Oswald beginnen — eines Königs, der aus nichts anderem als einer leeren Uniform und einer Allongeperücke besteht: ein Popanz als Substanz der Macht, dem Volk zur Verehrung hingehalten.

Das ist eine verhältnismäßig einfache Parabel, die sich auf alle möglichen Systeme, besonders aber auf die Diktaturen unseres Jahrhunderts anwenden läßt — wobei aber die Paraphrase des Atriden- und des Hamlet-Motivs nicht überaus originell wirkt. Man kann in derlei Fabeln natürlich eine kathartische Möglichkeit — eine Purgation im tiefenpsychologischen Sinn — für Künstler erblicken, die gezwungen sind, in der Unfreiheit zu leben und zu schreiben. In der Grazer Aufführung wird die Anwendbarkeit des Stücks mittels der „Internationale” und des Horst- Wessel-Liedes noch ein Stück weiter ausgedehnt. Soweit aus der Übersetzung zu erkennen, ist der Text etwas trocken und stellenweise papieren, wenngleich der Autor sich um kabarettistische Pointen bemüht. Dem ein wenig schmächtig wirkenden Körper des Stückes warf der für kurze Zeit aus Hannover nach Graz zurückgekehrte Regisseur Hermann Treusch ein buntschillerndes, von glitzernden Gags und Uber- raschungseffekten nur so übersätes Revuekostüm über, das sich — ähnlich der Uniform des Königs Oswald — beinahe schon selbständig machte. Das war amüsant anzusehen in seiner potenzierten Verfremdung und seiner unablässigen Durchlöcherung der Illusion, auch wenn es an Tempo öfter fehlte. Auf jeden Fall kam die Tragik des Themas zugunsten der Komik zu kurz. Aber das mag wohl in der Hauptsache am Stück liegen, das eben in seiner Simplizität zuwenig hergibt Bühnenbild und Kostüme (Joachim Streübel) hatten geistvollen Charme, Marianne Kopatz, Libgart Schwarz, Hans Faber und Rudolf Buczolich profilierten glänzend die van ihnen dargestellten Figuren.

„Wenn ich eine gute Opera hören möchte, gehe ich nach Esterhäz”, hat Maria Theresia gesagt. Dort im Schloßtheater sah die Kaiserin im Jahr 1773, kurz nach deren Uraufführung, die komische Oper Haydns „L’infedeltä delusa”. Haydns abgeschiedenes Leben in Esterhäz mag dazu beigetragen haben, daß dieses hübsche Singspiel damals nicht über die europäischen Bühnen ging, vor allem aber ist an der mangelnden Popularität des Werkes gewiß auch der Paragraph 4 des Anstellungsvertrages schuld, der besagt, daß Haydn seine „Compositionen für Ihre Durchlaucht einzig und allein Vorbehalten und ahne Vorwissen und gnädige Erlaubnis für niemand anderen nicht komponieren” solle.

Nun wurde die reizende Kammeroper Zum erstenmal in Österreich gegeben, und zwar im Stadttheater Leoben. Kurz darauf setzte Intendant Haberland sie auf den Spielplan des Grazer Schauspielhauses. Coltellinis Libretto, von H. F. Kühnelt ins Deutsche übersetzt, ist dramatisch verhältnismäßig dicht gewebt, obwohl der Vorwurf selbst einfach und ohne Nebenhandlungen ist. Die Figuren sind toskanische Bauern, und der einzige Adelige, der auftritt, ist nicht echt, sondern eine bissige Karikatur. Die Musik ist köstlich und reicht an manchen Stellen durchaus an Mozart heran, so etwa in dem temperamentvollen Duett „O diese Schande!”. Gustav Czerny dirigierte, Klaus Gmeiner inszenierte harmlos und hübsch; den Vogel schoß Dorit Hanak ab in einer überaus dankbaren Partie, die symbolisch tuenden Tanzeinlagen waren überflüssig.

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