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An der Wiege unserer modernen Zeitung

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Die Feier des 250jährigen Bestandes der „Wiener Zeitung“ führte die Erinnerung auch zu einem Meister des Wiener Journalismus zurück. Im Zeitalter des Films, der Schallplatte und des Tonbandes ist die oft bedauerte Vergänglichkeit der Mimenkunst durch die Technik längst überwunden; in der Tat vergänglich geblieben ist das Werk des Journalisten, zu oft hat es gar nur ein Eintagsleben. So sind auch Name und Schaffen einer historischen Gestalt des österreichischen Zeitungswesens, des vieljährigen Chefredakteurs der „Wiener Zeitung“, Friedrich Uhl, vergessen und verschollen. Mit August Zang, Michael Etienne, Franz Schuselka war er ein Schöpfer der modernen österreichischen Zeitung nach dem Jahre 1848.

War Friedrich von Gentz die schreibende Hand des Staatskanzlers Fürsten Metternich, so Uhl die des Ministerpräsidenten Anton Ritter von Schmerling, des „Vaters der Verfassung“ vom 26. Februar 1861 für die Reichs- und Landtagsvertretungen. Eine zufällige oder vielleicht doch „veranstaltete“ Begegnung im Hause des Bruders des Staatsmannes führte zu einer sehr innigen geistigen Verbindung. Zur Zeit, da Schmerling auf der Höhe seiner Macht stand, gehörte Uhl der Redaktion der „Presse“ an, die man späterhin „Die alte Presse“ nannte, redigierte das Feuilleton und die damals beliebte „Wiener Chronik“. Causerie am Beginne, waren diese Artikel im Laufe der bewegten Zeit politisch geworden. Dadurch hatte Uhl die Aufmerksamkeit Schmerlings erregt. Ueber Anregung Schmerlings war zu Anfang des Jahres 1862 das Tageblatt „Der Botschafter" gegründet und der Regierung zur Verfügung gestellt worden. Uhl übernahm vorerst die Leitung des Feuilletons, trat aber bald an die Spitze des Blattes. Zwangsläufig ergab sich ein immer innigeres Verhältnis zwischen Schmerling und Uhl, das sein fast tägliches Erscheinen im Staatsministerium zur Folge hatte. „Schmerling und die Seinen“ betitelte Uhl seine Erinnerungen aus den Tagen, da etwa nach Reichsratssitzungen im Büro des Präsidialchefs der Minister Schmerling seine vertrauten Mitarbeiter zu Diskussionen politischer Art versammelte. Schmerling liebte Ausflüge nach Melk, dessen Abt, Prälat Eder, Schmerlings persönlicher Freund war. Auch Uhl kam oft mit. Da ergaben sich stundenlange Spaziergänge. Menschen und Probleme der Zeit wechselten sprunghaft bei diesen Erörterungen, „ich fragte, er antwortete, ich durch Wißbegierde oft dazwischenfahrend, er bedächtig und nachdenklich, bald ernst, bald heiter, bald spöttisch und wegwerfend“.

Friedrich Uhl ist also Bedeutenderes gewesen als „nur“ ein Journalist; er war im politischen Geschehen und der politischen Evolution einer bedeutsamen Epoche Oesterreichs eine Figur auf dem politischen Schachparkett. Publizisten von Profil und Rang auch als Aktivisten der Politik sind in der österreichischen Staatsgeschichte wie in der des österreichischen Journalismus nicht eben häufig. Zum Unterschied etwa vom europäischen Westen. Mit dem Rücktritt Schmerlings, wären auch die Tage des „Botschafters“ gezahlt. Eine Gesellschaft von englischen Spekulanten, mit einer abenteuerlichen Madame Blaze de Bury an der Spitze, tauchte in Wien auf, um finanzielle Gründungen größter Art zu unternehmen Und dadurch auch Einfluß auf die Politik zu gewinnen. „Die Wiener Blätter wären damals noch nicht anglisiert öder amerikanisiert.“ Um dies hinsichtlich des „Botschafters“ zu verhindern, stellte Uhl an Schmerling die Frage, ob er an die Spitze der verfassungstreuen Partei treten und mit seinen Freunden das Blatt weiterführen wolle öder ob es eingestellt werden soll, was denn auch geschah. Womit nicht nur Friedrich Uhls politische Laufbahn zu Ende, sondern auch sein Leben in zwei scharf voneinander getrennte Hälften geschieden war. Uhl zog sich nach Mondsee zurück und wurde — ein leidenschaftlicher Fischer. Später hat er sich dort auch angekauft und begann im ganzen Salzkammergut alten Hausrat zu sammeln, so daß die Villa Uhl bald ein für jene Zeit Ladbares Heimatmuseum wurde. Zu Anfang des Jahres 1872 schien es, als ob Schmerling wieder an die Spitze eines Ministeriums treten solle; umgehend ging an Uhl die Aufforderung, nach Wien zu kommen. Schmerling zog sich bald von der Politik zurück und Uhl würde äh die — unpolitische — Spitze der „Wiener Zeitung“ gestellt. In der langen Reihe der Leiter dieses ehrwürdigen Blattes erreichte Uhl die längste Amtsdauer: von 1872 bis 1900! Als Feuilletonist hatte er sich schon im „Botschafter“ Ansehen erworben. Nun erweist er sich bald als ein Meister der Theaterkritik. Heute ist „der alte Uhl“ freilich jüngeren Zeitungskollegen eine Art Legende, die' zeitungs- und theaterhistorisch an- •mutet. Zeitlebens besaß Friedrich Uhl in Ludwig Speidel seinen Rivalen und Antipoden. Vielleicht weil beide, jeder in seiner Art, Künstler waren. Beide wurden sie die Schöpfer des besonderen Wiener Feuilletons. In ihren frühesten Anfängen wirkten beide einige Zeit als Kollegen in dem konservativen Tagesblatt „Das Vaterland“. Am Zenit ihres Schaffens, Speidel als Burgtheaterkritiker der „Neuen Freien Presse“, Uhl als der seines Blattes, saßen sie im Burgtheater hintereinander und grüßten sich auf eine Art, die zum Verwechseln einer Kundgebung von Unhöflichkeit ähnlich sah. Sie haben nie ein Wort miteinander gewechselt. Uhl wird, seinem ganzen Temperament nach, der aggressivere gewesen sein. Nicht aus Eifersucht, aber er überwand — als echter Journalist — zeitlebens nicht, daß sein Blatt, also seine Kritiken, an Verbreitung jenen Speidels zurückstanden. Ihre literarischen Profile sind mit einem Satz zu charakterisieren: Speidel, ein vollblütiger Schwabe, schrieb das klassische Deutsch der Grimm; Uhl war knorriger Schlesier, in der Schule Sainte-Beuve, Jules Janin und Th ophile Gautier gebildet, schrieb Deutsch mit französischer Gewichtlosigkeit, federnder Elegance, pointierten Bildern und Einfällen. Das Wesentliche war: Speidel beschrieb, erzählte eine Theateraufführung als novellistisches Erlebnis; Uhl fing sie als Schmetterling ein, spießte sie kritisch auf, ließ darüber noch einmal den Theatervorhang aufgehen, zitierte Dichter und Darsteller vor den Leser. Er war ein lebenssprühender Realist. Und er war jeweilig immer für die Kommenden, die Jungen. Speidel ent-

fuhr das berühmt gewordene böse Wort yon der „Affenschande“ der Musik Wagners. Uhl wurde Wagners leidenschaftlicher Vorkämp-' b fer in Wien. Speidel lehnte noch jahrelang Ibsen, den jungen Gerhart Hauptmann ab. Uhl nahm sie mit offenen Armen auf. Uhl setzte den vom konservativen Flügel des Burgtheaters heftig abgelehnten Direktor Max Eugen Burckhard in zähem, unerbittlichem Kampf durch.

Es ist etwas Wahres daran, wenn er sich rühmte, den Wiener Roman geschaffeii zu haben. Es war seinerzeit ein böser Metierwitz, wenn verbreitet wurde, daß der bekannte Hofbäcker Roman Uhl den ihm angebotenen Adelsstand abgelehnt hätte, weil er als „Roman von Uhl“ die als Geschäftsstörung empfundene Verwechslung mit einem — Roman von Uhl — vermeiden wollte. Er schrieb zwei oder drei Romane, einen Makart- und einen Charlotte-Wolter-Roman. Ein literarisches Preisgericht, dem Grillparzer und Hebbel angehört hatten, prämiierte die Novelle „Taubstumm“ des jugendlichen Uhl. Aber das ist alles verschollen und vergessen. Lebendig, atmend und leuchtend ist jede seiner Theaterkritiken in den alten Bänden der „Wiener Zeitung“. „Herr Doktor, lernen Sie tanzen, Sie werden dann besser schreiben!“ empfahl er einmal einem angesehenen und vortrefflichen Musikreferenten. Oder: „Er ist kein Adler oder ein Adler, der nicht fliegen kann, nur immer mit dem Schnabel um sich hackt.“

Man lernte viel bei ihm, lernte, was Ethik, Moral, aber auch was Kunst und Pflicht des Journalisten sind. Schreiben ist: das „Schleierlegen über die Sprache, ist die Sprache der Punkte, der Pausen, der Ironie des Titels eines Artikels“. „Kurz, all die Behelfe eines zur Erfindung genötigten Geistes. Wenn man nicht fest auftreteh kann, so gleite und rütsche man.“ Der Mann, dem als Sprecher kein Ur- und Naturlaut derb und urwüchsig genug war, hatte als Schreiber Glacehandschuhe an, konnte stecheln und sticheln, konnte alles sagen, was er wollte, ohne laut zu werden, ohne ein starkes Wort. Sein Leben lang war er ein Frondeur, ein Mißvergnügter, schließlich ein musealer Hofrat aus der josephinischen Zeit. Ein Genie seines Metiers, ein Mensch von höchster Originalität. Der große Bildhauer Rudolf Weyr, ein Schwiegersohn Uhls, hat dessen prachtvollen Kopf in einem der Dämonen — mit dem Dreizack! — des Denkmales „Die Macht zur See“ auf dem Michaelerplatz für die Nachwelt verewigt.

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