Bauten, die mit dem Menschen leben

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Zum 70. Geburtstag von Ottokar Uhl, der sich einen Namen als Kirchen- und Wohnbauarchitekt gemacht hat.

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Zum 70. Geburtstag von Ottokar Uhl, der sich einen Namen als Kirchen- und Wohnbauarchitekt gemacht hat.

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Ottokar Uhl nimmt eine unverwechselbare Position in der Architektur der letzten Jahrzehnte, insbesonders im Wohn- und Kirchenbau ein. Der am 2. März 1931 in Kärnten Geborene war Schüler von Lois Welzenbacher und Konrad Wachsmann. Jener hat die sensible Sinnenhaftigkeit, dieser die rationale Seite seines Wesens angesprochen. Früh kam er in Kontakt mir der Katholischen Hochschulgemeinde in Wien, mit dem Kreis um Karl Strobl und Otto Mauer. Für sie schuf er in den sechziger Jahren eine Reihe von Studentenkapellen, die wegweisenden Charakter hatten und viel Beachtung fanden. Von 1974 bis 1996 war er Professor an der Universität Karlsruhe, wo er die Nachfolge von Egon Eiermann antrat. Als engagierter Lehrer vermittelte er nicht nur Wissen, sondern Bildung im Sinne von Otto Mauer: "Bildung ist jener Vorgang, durch den ein Mensch von Menschen veranlasst wird, Mensch zu werden."

In der Zeit des konziliaren Aufbruchs begegnete er in Wien einer lebendigen Gemeinde; hier wurde es ihm Gewissheit, dass im Kirchenbau das "Prinzip Gemeinde" bestimmend sei und die Gemeindemitglieder das Recht und die Pflicht der Mitbestimmung haben. Daraus entwickelte er das Prinzip des partizipatorischen Bauens, das er vor allem im Wohnungsbau praktizierte. Von Anfang an drang er auf die Beiziehung von Fachleuten aus verschiedenen Disziplinen (Soziologen, Psychologen). Ihm ging es darum, die physiologischen, psychologischen und emotionellen Bedürfnisse der zukünftigen Bewohner zu ermitteln und dann mit ihnen zusammen ein Konzept für ihre Wohnungen zu entwickeln.

Das war ein außerordentlich mühsames und zeitaufwendiges Unternehmen. Man hat Uhl vorgeworfen, er habe darüber die bauliche Ästhetik vernachlässigt, zumal manche seiner theoretischen Äußerungen in diese Richtung gingen. Wer sich aber mit seinen Bauten beschäftigt, wird feststellen, dass Uhl nicht einfach den Wünschen nachgegeben, sondern seine eigene gestalterische Kompetenz eingebracht hat. Das kann man an seinen Kirchen und Kapellen ebenso ablesen wie an den Wohnanlagen, etwa dem bekannten Projekt "Wohnen mit Kindern" in Floridsdorf. Überflüssig zu sagen, dass Uhl dabei in einem Architektenteam gearbeitet hat, was zusätzlich anregend, aber anstrengend war.

Der Offenheit seines Herangehens an Probleme entsprach auch seine Überzeugung, dass Bauen ein Prozess sei. Schon 1968 nannte er sechs Stufen dieses Prozesses: 1. Untersuchung, 2. Entwurf, 3. Herstellung, 4. Verteilung, 5. Benützung, 6. Elimination. Uhl betont, dass man auf wechselnde Bedürfnisse reagieren müsse, was Änderungen, ja die Elimination einschließen könne. Freilich hat er darunter nicht willkürliche Vernichtung oder störende Eingriffe verstanden, wie sie bei seiner Studentenkapelle in Melk erfolgt sind. Uhls Vorstellungen entsprechen denen von Frei Otto, der von Bauten gesprochen hat, "die mit dem Menschen wachsen, wandern und vergehen können". Konsequenterweise hat Uhl in Zusammenarbeit mit Erich Bodzenta das Konzept der "Demontablen Kirche" entwickelt, ein Kirchentyp, der der Mobilität der heutigen Gesellschaft und der Unsicherheit der zukünftigen Entwicklung einer Siedlung Rechnung trägt. Zweimal sind in Wien demontable Kirchen errichtet worden, einmal mit Tragwerken aus dem Merosystem (Siemensstraße) und einmal in Holz (Kundratstraße).

Erneuerungsbewegung Die kirchliche Erneuerungsbewegung hat schon in der Zwischenkriegszeit die Forderung nach der "aktiven Teilnahme der Gläubigen an der Liturgie" erhoben. Ottokar Uhl hat im Kontakt mit Theologen, vor allem mit Karl Strobl und seinem Freund Herbert Muck, Kapellen und Kirchen als handlungsorientierte Räume geplant. Dabei haben Gedanken von Romano Guardini und Heinrich Kahlefeld befruchtend gewirkt, die von den verschiedenen "Gestalten" der Messe gesprochen haben, wobei zuerst das Wort und dann das Mahl im Zentrum des Geschehens stehen.

Ottokar Uhl hat diesem Gedanken schon 1963 in der Peter-Jordan-Straße in Wien und 1966 in der Kapelle in Stift Melk Rechnung getragen. In Melk wurde der Wortgottesdienst sitzend in den Bänken gefeiert, zur Eucharistie gingen die Studenten zum Altartisch und umstanden ihn hufeisenförmig, in einer oder mehreren Reihen, je nach der Zahl der Teilnehmer. In Taegu in Korea hat Uhl eine seiner schönsten, zur aktiven Mitfeier einladenden Kirchen gebaut.

Die Weiterentwicklung des Konzeptes der handlungsorientierten Kirche gelang Uhl 1990 in Karlsruhe-Neureut, wo er eine Kirche aus verschiedenen Räumen, Übergängen und Zuammenhängen geschaffen hat, in der verschiedene Aktivitäten versucht, entdeckt und entfaltet werden können. Dies ist heute die am meisten diskutierte Kirche im deutschen Sprachraum, ein Konzentrat all dessen, was Uhl gedacht und geplant hat.

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