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Einfach nur Mensch sein

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Vor kurzem starb in Ungarn ein außergewöhnlicher Mann: Pfarrer Antal Uhl (Bild), während des Krieges Helfer der Verfolgten in Frankreich. Nach der Heldenzeit seines Lebens zog er sich in eine kleine Ortschaft zurück und wirkte dort bescheiden als Pfarrer. Vor seinem Tod entstand der hier abgedruckte Bericht.

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Vor kurzem starb in Ungarn ein außergewöhnlicher Mann: Pfarrer Antal Uhl (Bild), während des Krieges Helfer der Verfolgten in Frankreich. Nach der Heldenzeit seines Lebens zog er sich in eine kleine Ortschaft zurück und wirkte dort bescheiden als Pfarrer. Vor seinem Tod entstand der hier abgedruckte Bericht.

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Baranyaszentgyörgy ist ein ganz kleines Dorf (Südungarn, Komitat Baranya). Es hat weder einen Bahnhof noch ein Kino, ja nicht einmal einen Laden. Hügel und Wälder umgeben es in weitem Umkreis.

Der Priester der Ortschaft, An-tal Uhl, ist wohl der älteste noch aktive Priester in Ungarn. Unter kurzem graumeliertem Haar ziehen sich tiefe Falten über sein hageres Gesicht In den Augen leuchtet oft ein Lächeln auf. Dieses Lächern drückt Liebe oder Verständnis, Wissen oder Trauer aus, zumeist aber Zuversicht

Sein Vater war Seiler. Damals brauchte Antal Uhl sehr viel Fleiß, um die Soutane anlegen zu können. Deutsch wird in dieser, Gegend in etlichen Familien gesprochen, er aber lernte in der Schule'auch begeistert Französisch. Sein Wissen verhalf ihm dazu, in den dreißiger Jahren nach Frankreich zu gelangen, als Seelsorger der ungarischen Arbeiterkolonie in Lille und Umgebung. Darüber hinaus linderte er aber auch die Alltagssorgen der Emigranten, die vor allem im Bergwerk und in Webereien arbeiteten.

Während der deutschen Besetzung bestand seine Menschlichkeit die größte Probe. Die Stadt Lille blieb ohne Wasser, Strom und Gas und wurde von den Deutschen besetzt Hier empfing Antal Uhl auch die erste Gruppe französischer Kriegsgefangener, unter ihnen Verwundete. Er versorgte sie.

Das Rathaus leerte sich, ein französischer Kardinal übernahm die Leitung, und der ungarische Priester trug — vorbei an deutschen Patrouillen — geheime Botschaften an geheime Adressen, Lebensmittel zu Notleidenden, Ausweise und Papiere zu Menschen, denen sie das Leben bedeuteten.

Als man ihn nach Paris beorderte und mit der Leitung der Ungarischen Katholischen Mission beauftragte, brachte er Briefe von 300 Kriegsgefangenen in die Hauptstadt oder noch weiter, in die unbesetzte Zone, mit Das ducke Bündel in seiner Tasche war ein recht gefährlicher Reisegefährte.

Auch in Paris ging seine Tätigkeit weit über Seelsorge und Betreuung der Gläubigen hinaus. Als die Vichy-Regierung Professor Sauvageot den bekannten Sprachwissenschaftler, seines Postens.am ungarischen Lehrstuhl der Hochschule für Östliche Sprachen enthob, besorgte Antal Uhl ihm eine Anstellung als Sprachlehrer im Ungarischen Haus und sicherte ihm dadurch seinen Lebensunterhalt Und weil er glaubte, daß seine Befugnisse auf der Gewissensebene unbegrenzt seien, stellte er Unmengen von Missionsausweisen mit Lichtbild für ungarische Juden aus, die sich somit als Katholiken ausgeben konnten.

Er tat das nicht weil er hoffte, sie damit für den katholischen Glauben zu gewinnen — und dennoch ließen sich viele von ihnen taufen. Er konnte keine Liste über die Geretteten führen, das wäre zu riskant gewesen, und außerdem notiert sich niemand gute Taten. Er gehört keiner Widerstandsbewegung an, wurde in seiner Tätigkeit aber von Emmanuel Chaptal, Weihbischof Ausländischer Katholiken, und dem Pariser Erzbi-schof Mgr. Suchard ermutigt,

ZeitweUig unternahm er gefährliche Reisen. Zweimal fuhr er nach Ungarn, brachte und holte Nachrichten, Briefe und Ausweispapiere. Ins Gebetbuch vertieft reiste er in seiner schwarzen Soutane im nächtlichen Zug—so passierte er die deutschen Militärkontrollen.

Eines Tages verhaftete ihn die Gestapo in Paris. Aber selbst auf der Kommandantur sagte er nur die Wahrheit obwohl gerade das am gefährlichsten war. „Warum reisen Sie mit diesen vielen Papieren ständig hin und her? Was administrieren Sie da eigentlich?" lautete die Frage. „Ich wollte meinen jüdischen Landsleuten' helfen."

„Was hat Sie denn dazu bewogen?" fragten die Männer von der Gestapo. Antal Uhl sagte: „Die Nächstenliebe."

Ein Zufall rettete ihm das Leben. Er mußte seine Taschen leeren, und unter den Sachen entdeckten die Gestapo-Offiziere die Visitenkarte eines deutschen Soldaten mit der Adresse seiner Frau in Deutschland auf der Rückseite. „Wie sind Sie zu der Karte gekommen?" fragte man, und da erzählte Antal Uhl:

„Noch vor der Besetzung fand über Lille ein Luftgefecht zwischen deutschen und englischen Flugzeugen statt und die Engländer schössen eine deutsche Maschine ab. Der Funker sprang mit dem Fallschirm ab, war aber verletzt blutete und brauchte Erste Hilfe. Ich säuberte und verband die Wunde, damit er sich keine Infektion zuzog, und brachte ihm etwas zum Essen. So konnte er sich retten."

.Aber was hat Sie denn dazu bewogen?" fragte man wieder. Und Antal Uhl erwiderte abermals: „Die Nächstenliebe."

Antal Uhl wurde zwar verurteilt, aber er konnte entkommen. Er kehrte umgehend nach Ungarn zurück. Selbst aus dem kleinen Dorf Baranyaszentgyörgy, in das er verschlagen wurde, sandte er noch rettende Papiere nach Paris und er unterhielt Kontakt zu den 700 französischen Kriegsgefangenen, denen die Flucht nach Ungarn gelungen war.

Auch nach 1945 blieb er Dorfpfarrer von Baranyaszentgyörgy. Inzwischen gehören zwei weitere Orte zu seiner Gemeinde: Szagy und Tormas. Vom 160jährigen Pfarrhaus, das als Baudenkmal gut sind es nur wenige Meter bis zu der 200 Jahre alten Kirche, von der man bis ans Ende der Welt schauen kann — wie die Einwohner sagen, die jetzt für Antal Uhl die Welt bedeuten. Denn er erhält nicht einmal mehr die katholische Tageszeitung „La Croix" aus Paris, die befreundete französische Geistliche für ihn abonnierten, solange sie lebten.

1974 feierte man im Rahmen einer goldenen Messe sein 50jähri-ges Wirken als Pfarrer. Neben seinen Gläubigen trafen in Baranyaszentgyörgy auch andere Geistliche und ein langes Telegramm von Papst Paul VI. ein, unterzeichnet von Kardinal Villot, Staatssekretär des Heiligen Vaters. Mit drei lateinischen Wörtern werden die prägnantesten Züge seines Charakters gewürdigt: fortitudo, industria, fidelitas - Mut Fleiß und Treue.

Vor kurzem erschien eine Gruppe von Filmleuten in Baranyaszentgyörgy.

Selbst während des Gottesdienstes am Sonntag flammten die Scheinwerfer auf; später surrte die Kamera in der Pfarrerwohnung. Die Dorfbewohner fragten einander, womit ihr alter Pfarrer wohl die Aufmerksamkeit der Welt auf sich gezogen habe, wo er doch höchstens die drei Dörfer seiner Gemeinde aufsuche. Und auch das nur, wenn ihn jemand im Auto mitnimmt

Noch am selben Tag sprachen sie bei ihm vor, um sein Geheimnis zu erfahren, aber er verriet lediglich, daß er während des Krieges, in Frankreich, vielen Menschen zu helfen versuchte. „Das war sicher sehr gefährlich", murmelten sie. „Ja", sagte er.

Ich sitze Antal Uhl im Pfarrhaus gegenüber. „Das Dorf verödet allmählich", sagt er. „Die jungen Leute gehen in die Stadt arbeiten. In den Stallen wird es immer stiller. Man hört schon mehr Autos lärmen als Tiere brüllen. Hier bleiben fast nur Alte und Kinder, und ich mit ihnen. Wenn Gott will, werde ich in drei Jahren mein 60. Dienstjahr erleben."

„Herr Pfarrer, was würden Sie sich wünschen?" frage ich.

Er antwortet: „Daß meine Mitmenschen glücklich sind."

Der Autor, ein bekannter ungarischer Schriftsteller, lebte längere Zeit in Paris.

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