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FERHATABBAS / EIN ENTTÄUSCHTER FREUND FRANKREICHS

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Die Bildung einer algerischen „Exilregierung“ ist für Frankreich zweifellos ein harter Schlag. Offen bleibt nur die Frage, ob Frankreich es als ein milderndes Pflästerchen auffassen kann, daß die Ministerpräsidentschaft dieser Regierung Ferhat Abb a s übertragen worden ist. Einerseits ist dieser 59jährige Apotheker aus Setif zweifellos innerhalb des Führungsgremiums der algerischen „Befrei--ungsfront“ (FLN) der Repräsentant des gemäßigten und einer Verständigung mit Frankreich aufgeschlossenen Flügels. Anderseits aber muß der Name von Ferhat Abbas in Frankreich peinliche Gefühle hervorrufen, weil er wie wenig andere an die unzähligen verpaßten Möglichkeiten der französischen Politik nach 1945 erinnert.

Als Ferhat Abbas int Frühjahr 1956 das französische Herrschaftsgebiet verließ und sich in Kairo dem FLN anschloß, hat das auf die Kenner der algerischen Verhältnisse wie eine Bombe gewirkt. Ferhat Abbas war nämlich bis dahin der gültigste Vertreter gerade jener Schicht des algerischen Volkes, die seit jeher für die Französisierung am offensten war: nämlich der wohlhabenden Bourgeoisie. Seine 1938 gegründete „Algerische Volksunion“ war noch eine ausschließlich reformistische Gruppe, welche die Assimilation befürwortete. Sein berühmt gewordenes „Manifest des algerischen Volkes“ von 1943 verlangte bereits die Autonomie; die Hoffnungen auf die Möglichkeiten einer wirklichen Assimilation lagen unter einem Berg nicht eingelöster französischer Versprechungen begraben. Die 1946 von Ferhat Abbas gegründete „Demokratische Union des Algerischen Manifestes“ (UDMA) entsandte im Juni 1946 zwar, unter seiner Führung, elf Abgeordnete nach Paris. Sie wurde aber schon bald darauf weggeschwemmt. Und Ferhat Abbas schien von nun ab ein aufs Abstellgleis rangierter Politiker zu sein, dem zudem von seinen radikaleren Konkurrenten das Odium des „Kollaborationisten“ mit der Kolonialmacht angehängt wurde.

Als Ferhat Abbas dann — wie bereits erwähnt — im Frühjahr 1956 Sick dem FLN anschloß, nahm man an, daß er dort allenfalls einen Klappsessel zugeteilt erhalten könnte. Da er ein gepflegter, würdiger Mann sei, werde ihn der FLN allenfalls als Werbereisenden in westlichen Staaten verwenden. Nun aber ist er Ministerpräsident geworden.

Gewiß, auf dem Schlüsselposten eines Vizeministerpräsidenten und Kriegsministers sitzt Krim Belkazem. Nach dem rätselhaften Tod Abam Ramdans im Juni ist Belkazem nun der Hauptvertreter jener neuen Führungsschicht der algerischen Emanzipationsbewegung, die ihre Bildung nicht im Quartier Latin von Paris, sondern als französische Unteroffiziere im grausamen Dschungelkrieg lndochinas erhalten hat und von ausgesprochen totalitärer Denkungsart zu sein scheint. Um so wichtiger ist, daß auf dem Präsidentenstuhl selbst in Ferhat Abbas ein Mann sitzt, der der westlichen Welt fast mehr verbunden zu sein scheint als der Welt etwa eines Oberst Nasser. Das liegt nicht daran, daß seine (heute in der Schweiz lebende) Frau eine Französin ist. Auch daß das Französische seine Muttersprache war und er das Arabische erst mühselig hat lernen müssen, ist nicht ausschlaggebend. Wesentlich scheint uns vielmehr zu sein, daß Ferhat Abbas eine fast angelsächsisch wirkende Fähigkeit besitzt, sich von Haß und groben Verzerrungen der Wirklichkeit nicht überwältigen zu lassen. Das scheint uns für die zukünftigen Beziehungen zwischen Europa und dem Maghreb von Bedeutung zu sein. Noch ist die Stunde der Burgiba und Mohammed V. Sollte auch sie verpaßt werden, steht die Ablösung bereit.

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