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KURT GEORG KIESINGER / DICKES FELL GESUCHT

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Konrad Adenauer sagte einmal über Kurt Georg Kiesinger, er habe eine „zu dünne Haut" und müsse sich „ein dickes Fell“ suchen. Ein dickes Fell ist dem Kanzlerdkandidaten der CDVI CSU, den seine Fraktion mit 137 von 251 Stimmen auf den Schild gehoben hat, nur zu wünschen;

er wird es auf jeden Fall brauchen können.

Der langjährige Ministerpräsident von Baden-Württemberg ist ein gebürtiger Württemberger: 1904 wurde er als siebentes Kind eines Angestellten im südlichen Württemberg geboren. Kiesinger besuchte das katholische Lehrerseminar in Rottweil, studierte in Tübingen Philosophie und Geschichte und später in Berlin Rechtswissenschaften. Der hervorragend qualifizierte Jurist Kiesinger schrieb aber auch Gedichte und war immer an Kunst und Literatur brennend interessiert. 1935 wurde er Rechtsanwalt am Kammergericht in Berlin. 1940 wurde er ins Auswärtige Amt dienstverpflichtet, als „wissenschaftlicher Hilfsarbeiter“, wie er heute seine damalige Beschäftigung unter Ribbentrop sieht. Zum Nationalsozialismus stand er, nach seinen eigenen Worten, seit 1934 im Gegensatz.

1949 zog Kiesinger in den ersten Bundestag als Mandatar der CDU ein und war bald einer der profiliertesten Sprecher seiner

Partei in außenpolitischen Fragen. Von 1954 bis 1958 war er Vorsitzender des auswärtigen Ausschusses, und neben seinem Wissen wurde auch seine Brillanz und seine weltmännische, elegante Erscheinung gerühmt — Kurt Maria Callas war in diesen Jahren sein Spitzname. Im Dezember 1958 wählten ihn, nachdem er längere Zeit als einer der ersten Anwärter auf die Posten des Außen- oder des Justizministers gegolten hatte, 100 von 110 Abgeordneten des baden-württembergischen Landtages als Nachfolger von Gebhard Müller zum neuen Chef der (damals noch) großen Koalitionsregierung in Stuttgart; der außenpolitische Fachmann der Bonner Regierungspartei ging in die Landespolitik und mußte, wie er sich ausdrückte, „hier die Praxis des Regierens lernen". Daß er ein gelehriger Schüler war, das bestätigten ihm auch seine politischen Gegner sehr gerne, auch nachdem er 1960 eher widerwillig die große Koalition in Stuttgart aufgekündigt hatte. Baden-Württemberg gilt heute als eines der Musterländer der Bundesrepu blik. Daneben vergdß er aber nie, der Außenpolitik sein Augenmerk zu schenken.

Für die Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung in Bonn gilt Kiesinger als ein Mann, der sowohl nach rechts, zur FDP, als auch nach links, zur SPD, koalitionsfähig ist. In Bonn ist derzeit noch alles offen; aber ob als Bundeskanzler oder ob als Kanzler des Schattenkabinetts, Georg Kiesinger wird in den nächsten Jahren eine Schlüsselfigur der deutschen Politik sein. Unter Politik versteht Kiesinger jedenfalls nicht Verwaltung, sondern Gestaltung: „Auch ich gehöre zu jenen", sagte er einmal, „die im Gegensatz zum Weltgefühl der Antike die christliche Erfahrung bejahen, die des Humanismus, daß nicht das Fatum, sondern das Ethos unsere Geschichte bestimmt. Nichts sollte den festen Glauben erschüttern, daß trotz aller Problematik die Technik den Menschen befähigt, Herr seiner Zeit zu werden, wenn es nur in jedem Volke viele gibt, die diesen Willen und diese Kraft besitzen.“

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