Kunstwissenschaft für die Kleinen

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Ein Erfahrungsbericht als Lehrende an der Kinderuni Linz.

Kinder gehören in die Schule, nicht an die Universität. Kinderunis sind eine typisch zeitgeistige Erscheinung, die der Publicity einer Universität mehr nutzt als den Kindern selbst. Vor allem befriedigt sie in einer leistungsorientierten Gesellschaft die Eitelkeit der Eltern. Klingt gut, bei einer Abendgesellschaft zu posaunen, dass der neunjährige Filius bei der Kinderuni Sponsion hatte, dass sich die achtjährige Tochter gerade Vorlesungen über Quantenphysik anhört.

Bevor ich selbst vom Kinderuni-Fieber erfasst wurde, stand ich als Universitätsassistentin für Kunstwissenschaft und Ästhetik der Kinderuni skeptisch gegenüber. Was können Universitäten Kindern vermitteln, was sie in Schulen nicht auch vermittelt bekommen? Und: sollten sich Universitäten nicht mehr auf ihre Kernaufgaben - auf Forschen und Lehren, auf Symposien und Fachtagungen konzentrieren?

Eitelkeit der Eltern?

Als besessene Kunstwissenschaftlerin und leidenschaftliche Mutter zweier Kinder ließ ich mich schließlich doch auf das Experiment ein - und wirkte an einem kunstwissenschaftlichen Seminar an der zweiten Kinderuni der Katholisch-Theologischen Privatuniversität in Linz mit. Irgendwie hatte ich die Hoffnung, durch diese Lehrveranstaltung meine gespaltene Identität als Wissenschaftlerin und Mutter ein wenig zu kitten.

Die Vorgaben des ausgezeichneten Vorbereitungsteams waren unmissverständlich: kindergerecht einerseits und den wissenschaftlichen Grundsätzen treu bleibend anderseits - so sollten die Vorlesungen und Seminare gestaltet werden. Sind spielerisches Vorgehen und wissenschaftlich-analytisches Denken nicht konträre Weisen, die Welt kennen zu lernen? Kann man Kindern wirklich etwas von der "vorikongrafischen Beschreibung" eines Bildes und dessen "ikonologischer Interpretation" erzählen?

Schon die Vorbereitungsphase war fordernd. Stärker als sonst bei der Konzeption meiner Lehrveranstaltungen habe ich jeden Schritt auf seinen Unterhaltungswert überprüft. Denn ich wollte die Kinder ja für das kunstwissenschaftliche Arbeiten begeistern. Ich wollte ihnen zeigen, dass Kunstgeschichte nicht spröde und langweilig ist, sondern dass das Entschlüsseln eines Kunstwerks genauso spannend wie das Lösen eines Kriminalfalls sein kann.

Kinder sehen mehr

Als Thema hatte ich die Kinderfrage "Was haben Adam und Eva im Paradies gemacht?" gewählt - als zentrales Bild Lucas Cranachs Adam und Eva im Garten Eden (1530) aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien.

Die Begegnung mit den Kindern während der zweistündigen Lehrveranstaltung übertraf meine Erwartungen bei weitem. Sicher: Dass Kinder unglaubliche Fragen über Gott und die Welt stellen, war bekannt. Dass sie sich mühelos in die stufenweise Erforschung eines Bildes einführen ließen, war allerdings überraschend.

Während es für Kunstgeschichtestudenten zu Beginn ihrer Studienzeit stets eine Schwierigkeit darstellt, sich auf ihren eigenen Sehsinn zu verlassen, konzentrierten sich die etwa zwanzig Sieben-bis Zehnjährigen über eine dreiviertel Stunde lang auf ein einziges Bild. "Bedeutungsperspektive", "Bilderzählung" - für die Kinder alles kein Problem. Auch als es beim Vorlesen der entsprechenden Genesis-Stelle um den Vergleich zwischen Text und Bild ging, waren die Kinder voller Fragen und Statements aufmerksam dabei.

Wie inspirierend die kunstwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Cranachs Paradies war, zeigte sich dann im praktischen Teil. Hier zeichneten die Kinder ihre eigenen Paradiesvorstellungen und präsentierten sie den Kollegen zunächst nur durch verbale Beschreibung. Die im theoretischen Part angeregte "wissenschaftliche" Auseinandersetzung floss in die Gespräche über die eigenen Kreationen in Form von differenzierten Kinder-Fragen ein.

Eigene Kreationen

Mittlerweile bin ich bekehrt: Die Kinderuni stellt für alle Beteiligten eine ungemeine Bereicherung dar. Für die Professoren und Assistenten, da sie ihre Methoden hinterfragen und verstaubte Lehrweisen über Bord werfen müssen. Weil sie lernen müssen, die wesentlichen Fragen und Arbeitsweisen ihrer Disziplin in eine völlig neue Sprache zu verpacken.

Und für Kinder, weil sie dabei erleben, wie aufregend komplexe wissenschaftliche Sachverhalte sein können. Anders als in der Schule geht es hier nur um ein "leistungsfreies" Hineinschnuppern, um eine neugierige Begegnung mit unterschiedlichen Fächern. Universitäten und Wissenschaft werden für Kinder zu vorstellbaren Größen - und die Barriere, später selbst einmal zu studieren, möglicherweise niedriger. Kein Wunder also, dass die Kinderuni 2007 an der KTU Linz schon nach wenigen Tagen ausgebucht war.

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