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Larsens gesammelte Beinbruche

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Als 1958 in der Hauptstadt Dänemarks Brechts „Dreigroschenoper“ gegeben wurde, ließ sich der Schauspieler Osvald Helmuth dazu überreden, ein Experiment einmaliger Art einzuschieben: Er legte dem Kommunistenführer Axel Larsen unter dem Galgen die Schlinge um den Hals und mimte zusammen mit dem arg grimassierenden Larsen unter dem Jubel des Publikumseine perfekte Hinrichtung „im Namen des Zentralkomitees der Kommunistichen Partei' Dänemarks“ — jenes Zentralkomitees, das Axel Larsen seiner Führungsposition beraubt und aus der Partei ausgeschlossen hatte. Das überall verbreitete Photo von dieser „Hinrichtung“ war der erste große Trumpf Larsens beim Aufbau einer von Moskau unabhängigen neuen Linkspartei, der „Socialistisk Folkeparti“, im Norden allgemein nur Axel Larsens SF genannt.

Der Rückblick auf die Gründung dieser Partei und die Ursachen ihrer Anfangserfolge ist aus mancherlei Gründen interessant: Larsens SF regt in benachbarten Ländern ähnliche Entwicklungen an, der Prozeß einer Neugruppierung auf der Linken ist noch keineswegs abgeschlossen, und Axel Larsen selbst hat in den letzten Wochen große Sorgen bekommen, die möglicherweise über die Neuwahlen in Dänemark im September zu einer völlig neuen Situation führen können.

Man kann zu Axel Larsen stehen, wie man will, man muß unter allen Umständen zugeben, daß er eine interessante und originelle Persönlichkeit ist, klug, wendig, oft geistreich und für künstlerische Erscheinungen (und erscheinende Künstlerinnen!) empfänglich. Auch seine ärgsten Gegner geben zu, daß er in den schlimmsten Tagen Dänemarks großen Mut bewiesen hat und daß er, wenn schon Kommunist, dann sicher ein sehr dänischer Kommunist ist.Larsen besuchte von 1925 bis 1929 die Lenin-Schule in Moskau, wurde 1932 bereits Vorsitzender der dänischen KP und Mitglied des Volke-tinget und hielt — über alle Stürme hinweg — bis 1958 diese Posten. Das kann ebenso als Beweis für sein taktisches Geschick wie für sein robustes Gewissen angesehen werden. Im Zusammenhang mit der Kritik über die Ungarnaktion wurde Larsen dann aus der KP ausgeschlossen.

Nach dem Halsbruch in der KP und der fingierten Hinrichtung rief Axel Larsen zur Bildung einer neuen Linkspartei auf, und es gelang ihm auch, vom dänischen Rundfunk als gleichberechtigter Mitbewerber im kommenden Wahlkampf anerkannt zu werden. In diesem Augenblick passierte der nahezu weltbekannt gewordene Beinbruch Larsens, der von der politischen Presse Dänemarks so gedeutet wurde, als habe Larsen nun mit einem Schlag die Hälfte seiner Wahlredner und ein Viertel seiner Wählerschaft verloren. Besonders die Arbeiterpartei hatte es schwer, die politische Situation auch nur einigermaßen richtig einzuschätzen, und der sonst so vortreffliche H. C. Hansen gab Axel Larsens Versuch, sich im Volketinget festzusetzen, nicht die Spur einer Chance. Nur Larsen selbst verkündete, daß er zehn Mandate erhalten werde, was als ein neuer Beweis für seine gelinde Verrücktheit gedeutet wurde.

Die SF erhielt elf Mandate und wurde dadurch zum berühmten Zünglein an der Waage zwischen den bürgerlichen Oppositionsparteien und der aus Sozialdemokraten und Sozialliberalen bestehenden Regierungskoalition. In den vergangenen Jahren hat jedoch die SF fast in allen wichtigen Fragen mit der Arbeiterpartei gestimmt und nie einen ernsten Versuch gemacht, die Regierung zu stürzen. Sehr oft verkündete sie dagegen ihre Bereitschaft zu einer engeren Zusammenarbeit mit der Arbeiterpartei, die von Jens Otto Krag jedoch wiederholt und ziemlich scharf abgelehnt worden ist.

Man nimmt heute an, daß die 150.000 Stimmen für die SF zu einem Drittel aus dem Lager der Kommunisten kamen, zu einem Drittel von den Sozialdemokraten und der Rest aus dem bürgerlichen Lager. Alle SF-Wähler lehnen in erster Linie die NATO-Mitgliedschaft Dänemarks ab, vor allem eine zu enge Zusammenarbeit mit Westdeutschland; auch so manche Intellektuelle fanden an Larsens spiritueller Betriebsamkeit und unkonventionellen Bocksprüngen viel Gefallen. Die ^er-

legene Erklärung, daß nur 20.000 Wähler für Axel Larsens Ideen gestimmt hätten und 60.000 für sein gebrochenes Bein (Larsen erschien mit einem Stock bewaffnet und auf einem Rollstuhl gelagert im Fernsehen!), ist zwar echt dänisch, geht aber an den Dingen etwas vorbei. Noch Ende 1963 hatte die SF nach den Untersuchungen eines Forschungsinstitutes Aussicht auf* zwölf bis dreizehn Sitze im Parlament.

Seither allerdings verschärften sich die inneren Gegensätze in der SF vor allem zwischen den alten Kommunisten und den Linken einer mehr modernen Denkungsart, und zu Ostern erklärten zwei Mitglieder der Parlamentsfraktion ihren Austritt aus der Partei. Anders Storgaard, einer der Ausgeschiedenen, war bereits früher einmal Führer einer kleinen Linkspartei gewesen, und man kann annehmen, daß mit ihm seine etwa 10.000 Wähler der SF den Rücken kehren werden. Erik Jensen, der Zweite im Bunde, war früher Sozialdemokrat und möchte nun gern zur Mutterpartei zurückkehren. Ein dritter Fahnenflüchtiger, Herluf Rasmussen, will die Partei „wegen ihrer inneren Zustände“ verlassen. Es schaut zur Stunde so aus, als würde Axel Larsen mehr als einen Beinbruch brauchen, um die auseinanderfallende SF zusammenzuhalten!

Vorsichtige Schätzungen ergeben, daß die SF in den letzten drei Monaten nahezu ein Drittel ihrer Anhängerschaft verloren haben muß. Gegen ihre Wahlaussichten sprechen, daß einzelne ihrer Führer nach gut altkommunistischer Sitte einen erbitterten Fraktionskampf führen, daß die regierende Arbeiterpartei für NATO-Wünsche ein betont laues Interesse zeigt, daß die Erhöhung des wirtschaftlichen Stan-dardes in Dänemark in den letzten Jahren besonders auffallend war und daß vor allem der nun 67 Jahre alte Axel Larsen für eine radikale Politik zu alt und gesundheitlich zu sehr angeschlagen ist.

Dann ist es eine andere Frage, in welchem Ausmaß die Gegner der SF selbst Axel Larsen unter die Arme greifen werden; vor der letzten Wahl haben sie es bis zum Ubermaß getan, vor allem auch durch unsachliche Polemiken, die gerade bei den intellektuellen Gruppen das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung hervorrufen mußten. Noch heute hat die Partei in Hochschülerkreisen und in den Mittelschulen eine beachtliche Zahl von Anhängern; viele von ihnen gehören zu den 400.000 jungen Dänen, die irn September zum erstenmal zur Wahl gehen werden. Auf diese Gruppen haben die gewöhnlichsten und ziemlich abgedroschenen antikommunistischen Argumente gar keinen Eindruck gemacht, denn sie fühlen sich nicht als Kommunisten. Was für einen Larsen spricht, ist ja gerade, daß er seine kommunistische Vergangenheit gar nicht verleugnet und in den Diskussionen der letzten Zeit — etwa in der von Oslo aus gesendeten Fernsehdiskussion über die neuen Linksparteien — die Moskauer Kommunisten schärfer angegriffen hat als es die Sozialdemokraten getan hatten, weil diese — siehe oben! — ihre Waffen aus einem Arsenal beziehen, das heute längst veraltet ist.

An Propagandamitteln stehen der SF nur eine verhältnismäßig kleine Parteiorganisation mit etwa 6000 Mitgliedern zur Verfügung, das durch Spenden am Leben erhaltene Wochenblatt soll in 10.000 Exemplaren erscheinen. Gewisse Kraftzentren besitzt man in einigen größeren Städten, vor allem in Kopenhagen, wo man ein Sechstel der Wählerstimmen eroberte. Noch vor seinem Ausschluß aus der KP schrieb Axel Larsen: „Das wichtigste Argument unserer Gegner ist die Behauptung, wir seien keine dänische und keine unabhängige Partei. Wir müssen uns freimachen von der Tradition, alles zu loben, was von den sozialistischen Ländern kommt!“ — „Wir lassen Dänemark nicht verkaufen, nicht an Moskau und nicht an die EWG!“ so spricht Axel Larsen heute. Doch heute haben seine politischen Gegner erkannt, daß linkssozialistische Tendenzen in der dänischen Politik eine Realität sind und sie werden es dem alten politischen Charmeur nicht leicht machen, in der alten Stärke ins Parlament zurückzukehren 1

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