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CASPAR NEHER / DIE WELT ALS BÜHNE

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Vor einem Jahr, am 30. Juni 1962, im Ausklang der Wiener Fest-wachen, starb Caspar Neher, ein Mann, der durch 40 Jahre hindurch den deutschsprachigen Bühnen ihr Gesicht gab, das bald vorbildlich für alle Länder Europas wurde, weil die knappe und absolute Form, aus der heraus Caspar Neher mitten in einer dekorativ gewordenen Theaterwelt seinen Stil entwickelte, nicht nur für die Bildgestaltung, sondern vor allem für den Geist des Theaters bahnbrechend war.

Wie Bert Brecht, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft ver-

band, war Neher in Augsburg geboren und Protestant; das ist nur darum erwähnenswert, weil diese Minderheit mitten im katholischen Bereich sich immer ihr eigenes und scharf kritisches Gesicht bewahrt hat. Brecht und Neher verband von Jugend an die gemeinsame Sache des Theaters. Ihr künstlerisches Anliegen blühte aus der Kargheit harter Umrisse bis zur Phantastik der „Mahagonny“-Oper auf. Ihre Verbundenheit im großen gemeinsamen Werk erwies sich stärker als die verzerrenden Mächte der Politik, und in vorbildlicher Weise hat Caspar Neher dem Freunde die Treue bis zum Tod gehalten, über alle künstlerischen und hemmenden Grenzen hinweg. Noch Brechts ..Galileo Galilei“ hat Neher seine einprägsame Bildkraft geschenkt, die ja fast immer der Regie die Wege wies, lange ehe die praktische Arbeit begann.

Das war das wunderbare Neue an dieser Zusammenarbeit, daß die eindrucksvollen Arrangement-Skizzen Nehers, die fast jede Situation illustrativ beleuchten, eine Art Vorwegnahme der Regie bedeuteten, weil sie als Basis für alles folgende als Grundbedingung aufgenommen wurden. Vom Tage an, als ich zum erstenmal diese auch malerisch besonders reizvollen Situationsskizzen sah — in den goldenen Tagen der Zwanzigerjahre — den durch so revolutionierende

Geister wie Neher wurden sie golden! — vor der Uraufführung von „Mahagonny“, war mir klar, daß hier eine Vision in einzelnen Stationen gegeben wurde, ehe noch das Handwerk der Regie begann, und daß dieser neue Prozeß, der die Gesamtkonzeption derart überzeugend und stark an den Anfang stellte — lange ehe man sich dem Detail hingab — für den Erfolg der Premiere entscheidend blieb. Unvergleichlich war auch die Nehersche Meisterschaft in der Kunst der szenischen Übergänge. Oskar Fritz Schuh, der mit Neher zusammen für Salzburg „Wozzeck“ und Kafkas „Prozeß“ (von Einem) inszeniert hat, könnte vieles über den Zauber der Verwandlung aus der Domszene zur Schlußszene im Steinbruch berichten, bei denen Neher die Kunst der Projektion einbezog, mit der sein erfindender Verstand ursprünglich einmal in vollem Maße die Bühne bereichert hatte. Diese schöpferischen Anregungen Nehers, von denen die gesamte Welt des Theaters befruchtet wurde, waren so bedeutsam wie die eigenen künstlerischen Taten.

Wer diesen großen Verschlossenen aus der gemeinsamen Arbeit kannte — ich selbst habe mit ihm „Samba“ von Ulrich Becher im Berliner Schloßparktheater inszenieren dürfen — mußte ihn notwendig lieben, denn er war ein stärkender Helfer des künstlerischen Gewissens

weit über die Bezirke seiner eigenen Arbeit hinaus, ein Meister, dem kein Plan zu kühn, keine Phantasie unverwirklichbar, keine Aufgabe unlösbar schien.

Caspar Neher, am 11. April 1897 in Augsburg geboren, erhielt seine Ausbildung an der Kunstgewerbe-Schule und -Akademie in München und debütierte mit den Bühnenbildern zu Kleists „Käthchen von Heilbronn“ am Staatstheater Berlin. Die Theaterstadt Berlin blieb Nehers künstlerische Heimat bis 19-32. Von 1934 an war er an den Städtischen Bühnen Frankfurt, am Deutschen Theater Berlin, an der Hamburger Staatsoper und, von 1945 bis 1947, am Züricher Schauspielhaus tätig. Seit 3 947 wirkte der Bühnenbildner bei den Salzburger Festspielen und am „Theater an der Wien“, wo er zusammen mit Oskar Fritz Schuh als Regisseur den neuen österreichischen Mozartstil schuf. Am 1. April 1958 wurde Caspar Neher zum Ordentlichen Professor der Lehrkanzel für Bühnenbildner ei und Festgestaltung an der Akademie für bildende Künste, Wien ernannt.

Nehers Verlust für die Welt des Theaters ist allgemein und unersetzlich. Seine letzten großen Aufgaben des vergangenen Jahres, die Ausstattung von Alban Bergs Opern „Lulu“ und „Wozzeck“, stellen Höhepunkte der Festwochen Wiens auch in diesem Jahr, 1963, dar.

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