7105149-1995_27_17.jpg
Digital In Arbeit

Mit Nadel, Faden, Fingerhut

Werbung
Werbung
Werbung

Im Weinviertier Museumsdorf Niedersulz bei Gänserndorf war man von Beginn an sehr ehrgeizig. Jetzt zeigt man in den übertragenen Bauernhöfen mit Bauerngärten, Wirtschaftsgebäuden und Preßhäusern des 18./19. Jahrhunderts auch Ausstellungen, die mehr sind als bloße Ergänzungen zum Erscheinungsbild einer Begion. Die Sonderausstellung „Nadel, Faden, Fingerhut” will mit volkskundlichen Exponaten auch Anregungen für eine kreative Freizeitgestaltung geben.

Die Objekte dieser Schau sind Wanddekorationen, Musterflecken und verschiedene Handarbeiten, wie sie viele Frauen immer häufiger als Streßlöser bevorzugen. Präsentiert werden aber auch Streifen, wie sie einst in Wäscheschränken hingen und „Kredenzen” zierten. „Auf Erden das Paradies hat jeder der zufrieden ist”, steht darauf. Oder: „Das größte Glück für einen Mann ist eine Frau die kochen kann.”

Gelehrt wurden die Techniken des Strickens, Häkeins, Stickens und Nähens in den Volksschulen gemäß dem Reichsvolksschulgesetz von 1869. Und die Sprüche entsprachen kleinbürgerlicher und bäuerlicher

Lebensweisheit, die in häuslicher Geborgenheit, Zufriedenheit, Tugend und Fleiß ihr Ideal sah.

Komplettiert wird die Schau durch Geräte zur Bearbeitung von Textilfa-sern wie dem Flachs, dem Spinnen und Weben von Schafwolle sowie deren Veredelung durch Waschen, Bleichen und Bedrucken. Dem Konzept von Ausstellungsgestalterin Doris Kiesling entsprechend wird an damit verbundenes Brauchtum erinnert. Eine reizvolle Ausstellung innerhalb der empfehlenswerten Ausstellung ist eine Sammlung von Fingerhüten aus

dem 19. und 20. Jahrhundert, als die kleinen Hütchen Geschenk, Souvenir und Brautgabe waren und nicht allein ein Schutz für fleißige Finger. Das Material der Sammelstücke ist denn auch Silber, Porzellan, Tombak (neunzig Prozent Kupfer, zehn Prozent Zink), Messing, Holz und Aluminium. Bemalt sind sie mit Blumen oder Gräsern, Vögeln, Weihnachtsmotiven und Ornamenten, verziert mit Petit-point-Stickereien, Gravierungen und Ziselierungen. Eine Barität stellt der „Segelraffer” dar. Er

wurde nicht zum Nähen, sondern zum Baffen von rauhem Segeltuch verwendet. In der an der Kassa erhältlichen Informations-Mappe geht Doris Kiesling auf die Geschichte des Fingerhuts ein. Er war nichts weiter als ein bearbeiteter Stein oder Knochen. Mit dem Daumen drückte man ihn gegen eine Nadel aus Knochen, Tierzähnen oder Horn.Das erste literarische Zeugnis über den Fingerhut stammt aus Deutschland um 1150. Um 1400 wurde Nürnberg zum Zentrum der Fingerhuterzeugung. Besonders kostbare Fingerhüte wurden von Goldschmieden aus Edelmetallen und Edelsteinen hergestellt.

In der Türkei verwendete man früher Fingerhüte aus Holz für vier Finger. Sie dienten zum Bestellen des Bodens und zum Ernten. In Thailand hat der Fingerhut eine kultische Funktion. Thaimädchen tragen bei Tempeltänzen auf allen zehn Fingern spitz zulaufende goldene Hüte, die sie im Bhythmus bewegen. Im alten China hatten Frauen vornehmer Familien zum Zeichen dessen, daß sie keine manuelle Arbeit verrichten mußten, lange Fingernägel. Zu ihrem Schutz steckten sie in einer langen, gebogenen Spitze endende kostbare Fingerhüte über Bingfinger und den kleinen Finger.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung