Mysterium der Realität

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René Magritte im BA-CA Kunstforum in Wien.

Ein Mann mit einem Bowler-Hut auf dem Kopf wandert durch die Straßen von Brüssel, durch Parks und einige Häuser. Er ist keine aufdringliche Erscheinung. Vielleicht erinnert er ein bisschen an einen Detektiv, der so unauffällig tut, dass er gerade deswegen auffällt. Man würde ihn aber nicht weiter beachten, würde er bei seinen Spaziergängen nicht die absonderlichsten Dinge erleben. Er trifft zwar nur auf ein paar übliche Gegenstände, wie sie jeder aus seinem Alltag kennt, aber so, wie sie dem Mann mit dem Bowler-Hut entgegentreten, passen sie nicht wirklich zusammen. Und das, obwohl sie wirklich genauso sind, wie sie sind. Festgehalten hat diese Erlebnisse für uns René Magritte mittels des Aufschreibsystems der Malerei; nachschauen, wie das wirklich war, kann man derzeit im Kunstforum.

"Das ist keine Pfeife"

Eingeübt in seine technisch hoch stehende realistische Malweise hat sich der 1898 geborene René Magritte nach seinem Studium an der Brüsseler Académie des Beaux-Arts vor allem als Werbegrafiker. Der Kontakt zuerst zu den belgischen und dann auch zu den Pariser Surrealisten und die Bekanntschaft mit vielen Dichtern - Magritte gehörte zu den belesensten Zeitgenossen - führte den jungen Maler zu einer grundsätzlicheren Beschäftigung mit der Welt und ihren Abbildern, wie sie in der Malerei auftauchen. Allen voran illustriert dies das wohl berühmteste Werk aus der Phase, in der Magritte Abbilder und Begriffe in scheinbar zusammenhangloser Weise auf die Leinwand malte. Im "Verrat der Bilder" sieht man eine Pfeife auf indifferentem Malgrund, darunter steht: "Dies ist keine Pfeife." Was wie ein Widerspruch daherkommt, löst sich sogleich auf: es ist tatsächlich keine Pfeife, sondern nur das Bild einer Pfeife. In ähnlichen Bildern, auf denen zum Beispiel dem Bild eines Hutes der Begriff Schnee oder dem Bild einer Kerze der Begriff Plafond zugeordnet werden, kommt eine inhärente Sprachkritik zum Ausdruck. "Ein Gegenstand hängt nicht so sehr an seinem Namen, dass man für ihn nicht einen anderen finden könnte, der besser zu ihm passte", erklärt Magritte. Die wundersame Zusammenstellung schwächt aber die Bildwirkung keineswegs ab, im Gegenteil: das Bild wird als Bild gestärkt, es scheint einen wesentlich höheren mimetischen Wert zu besitzen als der Begriff.

Unorthodoxe Bilderwelt

Aber Magritte lässt es nicht dabei bewenden. Er bearbeitet auch seine Bilderwelt auf unorthodoxe Weise. Menschen und Gegenstände nehmen die Farbwerte und die Oberflächenstruktur ihres Hintergrundes an, Treppen enden nirgendwo, Füße verschmelzen mit Schuhen, Körperteile mit Gewändern, Äpfel und Rosen erreichen Zimmergröße, ein nächtlicher Vordergrund ist mit einem blauen Himmel mit Schäferwölkchen bildlich vereint. Schließlich kombiniert er Bilder, die sich als Bild im Bild auf einer gemalten Staffelei befinden, aber an drei Seiten völlig mit dem Motiv des Bildes im Bild verschmelzen. Unmöglich, diese Konstruktionen, daran besteht wohl kein Zweifel. Aber sinnvoll. Denn Magritte hinterfragt malerisch, ob wir tatsächlich die Welt so wahrnehmen, wie wir glauben, dass wir sie wahrnehmen, und verneint das für viele seiner Zeitgenossen und wohl auch Nachfahren. "So sehen wir die Welt. Wir sehen sie außerhalb unserer selbst und haben doch nur eine Darstellung von ihr in uns. Auf dieselbe Weise versetzen wir manchmal etwas in die Vergangenheit, was in der Gegenwart geschieht. Zeit und Raum verlieren dann jenen groben Sinn, den nur die Alltagserfahrung ihnen gibt." Die Betroffenheit löst Magritte aus, indem er diese Alltagserfahrung allerdings nie völlig aufgibt.

Befreiung von Vorgaben

Denn er malt die einzelnen Elemente seiner Kompositionen in einer beinahe faden, herkömmlichen, an strengem Abbildrealismus orientierten Weise. Eine Rose ist eine Rose, ein Stuhl ein Stuhl und eine Pfeife ist eine Pfeife. In seinem unpersönlichen Malstil, demjenigen der Ikonenmalerei ähnlich, malt er uns immer nur vor: es ist, was es ist. Der inhaltliche Riss, der die Bilder von Magritte durchzieht, berührt seinen Malstil überhaupt nicht, insofern zeigt er einen völlig anderen Weg des Umgangs mit dem Zusammenbruch der gewohnten Welt, wie ihn die Entwicklung von Naturwissenschaft und Technik mit sich gebracht hat, als dies seine bildauflösenden Kollegen getan haben. Aber um eine Befreiung geht es ihm genauso: "Sowohl in gewöhnlichen wie in außergewöhnlichen Momenten unseres Lebens verwirklicht unser Denken seine Freiheit nicht vollständig. Es wird ständig von dem, was uns geschieht, abgelenkt oder bedroht. Es koinzidiert mit tausenden von anderen Dingen, die es einengen. Diese Koinzidenz ist beinahe ein Dauerzustand." Mit seinen Bildern bietet Magritte Ausstiegsmöglichkeiten aus dieser andauernden Enge.

Gerade weil Magritte nicht in die psychologisierende Malerei mancher Surrealisten verfällt, kann man seine Arbeiten nicht als zwar nette, aber letztlich nicht zielführende Tagträume abtun. Denn seine Bilder zeigen nichts Imaginäres, sondern "die totale Realität, das heißt die Realität mit ihrem Mysterium, nicht getrennt von ihrem Mysterium", wie er mit Nachdruck betont. Wir sind immer nur an der Kippe zur Realität, weil wir sie nie gut genug als Aneignung erfinden.

René Magritte

Der Schlüssel der Träume

BA-CA Kunstforum, Freyung 8,

1010 Wien

Bis 24. Juli tägl. 10-19, Fr 10-21 Uhr

Katalog:

René Magritte, Der Schlüssel der Träume. Gent 2005, 204 Seiten, e 30,-

KULTURTIPP:

Vortrag des Autors zu Magritte:

Freitag, 29. April 17-18.30 Uhr,

Stephanspl. 3, 1010 Wien

Führung durch die Ausstellung:

Sa 30. April 12-13 Uhr

Anmeldung: Theologische Kurse,

Tel. (01)51552-3708

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