Surrealisten - © Foto: AFP / Olivier Matthys / BELGA

Das Mysterium des Surrealisten

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Kunst und Theologie – eine Auseinandersetzung: Dem belgischen Maler René Magritte (1898–1967) ging es darum, das Denken zu malen und damit das Mysterium der Welt wachzurufen.

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Kunst und Theologie – eine Auseinandersetzung: Dem belgischen Maler René Magritte (1898–1967) ging es darum, das Denken zu malen und damit das Mysterium der Welt wachzurufen.

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Magrittes Bilder provozieren, denn der Maler kombiniert Dinge, die wir sehen, auf eine Weise, die dem, wie wir sie sehen, radikal widerspricht. Der Widerspruch wird noch gesteigert durch die Titel, die er seinen Bildern gibt, um das Mysterium wachzurufen.

Wer Bilder von René Magritte sucht, findet sie fallweise auf dem Kunstmarkt zu Höchstpreisen oder in einem Museum, noch viele mehr jedoch als billige Pos­ter für dekorative Zwecke und in der Werbung. Seit 2016 werben die Brussels Airlines mit dem Bild „La clairvoyance“ von 1936 auf dem Rumpf eines Airbus A320. Magritte ist daran nicht ganz unschuldig. Noch 1965, zwei Jahre vor seinem Tod, hat er für die Fluglinie Sabena, die seit 2001 nicht mehr existiert, den „Himmelsvogel“ entworfen, der Tassen und Gläser für die Reisenden der Business Class zierte.

Die Beziehung Magrittes zur Werbung ist „hausgemacht“, denn erst sehr spät kann er von seinen künstlerischen Bildern leben. Die kleine Wohnung in der Rue Esseghem in Brüssel, wo er von 1930 bis 1954 zu Hause ist, hat einen kleinen Garten mit Gartenhäuschen. Dort betreibt er mit seinem Bruder eine Werbeagentur und entwirft, zeichnet und malt Kinoplakate, Werbeanzeigen für Autos, Pelze oder Modehäuser.

Ambivalent zu den Parisern

René Magritte, 1898 in Lessines geboren, stammt aus dem wallonischen Teil Belgiens und wächst zwischen Châtelet und Charleroi auf, ein Industriegebiet, das diese Gegend damals reich gemacht hat. Er geht nach Brüssel, studiert Malerei und heiratet seine Frau Georgette. Für knapp drei Jahre zieht er 1927 nach Paris, um dem dortigen Zentrum der Surrealisten nahe zu sein, die sich um den Literaten André Breton scharen, einen radikalen Feind alles Religiösen.

Am 14. Dezember 1929 kommt es zu einem Zwischenfall. Die Surrealisten treffen sich zu einer Party in der Wohnung Bretons. Georgette trägt eine Kette mit einem Kreuzanhänger. Breton fordert sie auf, „diesen Gegenstand“ zu entfernen. Sie verlässt die Wohnung, gefolgt von ihrem Mann. Zurück in Brüssel avanciert er zum Star des belgischen Surrealismus. Die Beziehung zu den Parisern bleibt ambivalent.

Auch Magritte ist kein Freund von Religion und findet für Kirche, Priester und ihre Lehren nur lästerliche Worte. Aber er hat etwas nicht ganz Unreligiöses im Sinn: Er will das Denken malen und damit das unsichtbare Mysterium hervorrufen, wie er selbst sagt. Seine Bilder sind von realistisch gemalten, alltäglichen und sichtbaren Dingen bevölkert, die uns umgeben: Köpfe, Hüte, Himmel, Bäume, Möbel, weil „die Malerei ungeeignet ist, das Unsichtbare darzustellen“. Daher lehnt er ab, „eine Figur zu malen, die die Idee der Gerechtigkeit darstellen würde.“ Auch fiktive Seeungeheuer und das bei den Surrealisten beliebte Dämonische, Okkulte und Monströse sind nicht seine Sache.

Er will das Denken malen, denn das Denken umfasst für Magritte „beides, das Sichtbare und das Unsichtbare“. Für ihn sind Bilder, wie auch Worte, Zeichen, die auf etwas anderes verweisen. Magrittes Bilder bilden daher nicht etwas ab, sondern wollen mit ihren schrägen Kompositionen auf Unsichtbares hindeuten, um das Mysterium aufleuchten zu lassen.

Was Magritte damit meint, verdeutlicht seine Bemerkung zu seinem Bild „La cascade“ (Der Wasserfall) von 1961. Dieses Bild zeigt eine Staffelei, die mitten in einem Buschwerk steht, aber das Bild auf der Staffelei lässt einen entfernt liegenden Hochwald erkennen, ist also kein Abbild des Buschwerks. Von einem Wasserfall weit und breit keine Spur. Magritte schreibt dazu: „Der Titel ‚Der Wasserfall‘ suggeriert, dass dieser inspirierte Gedanke hervorschoss wie ein Wasserfall.“ (Anm.: Eine Abbildung von „La cascade“ ist im Internet zu finden u. a. bei http://www.masterworksfineart.com/artists/rene-magritte/lithograph/ la-cascade-the-waterfall/id/w-4737)

Das Denken hat für Magritte nichts mit Logik zu tun, sondern mit Inspiration, Erleuchtung, clairvoyance, denn: „Der wesentliche Akt des Denkens ist, Erkenntnis zu werden.“ Im Unterschied zu den Parisern hält Magritte nichts von Traumbildern. Wenn er von Träumen spricht, meint er den Halbschlaf oder Wachtraum, in dem sich ihm etwas zeigt, ihm etwas auf- und einleuchtet: „Ich verstehe darunter diesen Moment der Klarheit, den keine Methode zum Vorschein bringen kann.“ Die Klarheit „besucht“ ihn, und er empfängt sie. Damit verweist Magritte auf die Unverfügbarkeit des Erkennens.

Das Mysterium, das Magritte als Erkenntnis einleuchtet, ist „keine der Möglichkeiten des Realen“, sondern „was unbedingt notwendig ist, damit es Reales gibt.“ Ohne Mysterium sind für ihn weder die Welt noch das Denken möglich. Daher will unser Blick „immer weiter gehen, will schließlich den Gegenstand sehen, den Grund unserer Exis­tenz“: das Mysterium. Er lässt die Idee nicht gelten, „dass die Welt oder das Universum inkohärent oder absurd sei.“

Magrittes Texte haben zuweilen den Charakter eines Bekenntnisses. Er sagt: „Ich gewöhne mich nicht leicht an das Leben“, und zugleich: „Wir sind im Mysterium, ob wir davon Kenntnis haben oder nicht“; und: „Da es um das Absolute geht, darf man Hoffnung haben.“ „Meine Malerei“, schreibt er, „zeigt die Welt, die mich wieder heimisch macht.“

Ergriffen durchs Unsichtbare

Solche Aussagen über das Mys­terium bleiben jedoch ohne nähere inhaltliche Angaben, worum es sich dabei handelt. Für ihn ist der entscheidende Punkt, dass das Mysterium von sich aus wirkt und etwas bewirkt. Das erinnert an einen Satz im Hebräerbrief, der vom Glauben sagt, dass er bewirkt wird (11,1): „Der Glaube aber gründet in der Hoffnung, ist das Ergriffenwerden durch das Unsichtbare.“ Für Magritte sind es die Bildkompositionen, die ihm das Mysterium eingibt. Freilich kann sich unverfügbares Erkennen überall ereignen. So hat etwa dem Chemiker Friedrich August Kekulé die Struktur des Benzolrings im Halbschlaf eingeleuchtet, und das hat ihn wie ein „Blitzstrahl“ getroffen, sagt er selbst. Albert Einstein nennt seine Relativitätstheorie das Ergebnis einer „Intuition“. Und der Satz des Hebräerbriefs ist eingebettet in Erzählungen von vielen Menschen, die von Gott ergriffen worden sind.

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