6759389-1968_08_15.jpg
Digital In Arbeit

Die Tante und der Ritter

Werbung
Werbung
Werbung

Zwei Einakter hat die “Wiener Kammeroper aus der Versenkung gehoben: „Das Testament der Tante Karoline” von Albert Roussel und „Ritter Eisenfraß” (Croquefer) von Jacques Offenbach. Erstere ist auch die ernstere und besitzt in der Handlung bei aller ironischen Heiterkeit einen sehr menschlichen Kern. Die verstorbene Tante Karoline hat in ihrem Testament ihr ganzes großes Vermögen dem ersten Sohn ihrer drei Nichten vermacht. Sollte innerhalb Jahresfrist kein Sohn vorhanden sein, verfällt alles der Heilsarmee. Zwei der Nichten sind verheiratet, aber kinderlos und es scheint auch den beiden Ehemännern nicht wahrscheinlich, daß die Bedingung zu erfüllen wäre. Die dritte Nichte ist Nonne — aber sie hat die Existenz eines derzeit bereits erwachsenen Sohnes verheimlicht. Dieser Sohn, Chauffeur der verstorbenen Tante, erbt nun das ganze Vermögen und kann sein Mädchen, die reizende Lucine, heiraten. Die Musik hat Niveau und eine gewisse Originalität, aber zuwenig Durchschlagskraft, schwankt zwischen komischer Oper und Operette, ohne eines von beiden zu sein, ist Verschwendung und Armut zugleich. Immerhin trägt sie die Szenen, deren es leider viele, allzu viele ohne Musik gibt, und hat eine fortbewegende Kraft, die den gesprochenen Teilen des viel zu langen Textbuches fehlt.

Die „Operette” ..Ritter Eisenfraß” lebt im Gegenteil überhaupt nur durch die Musik, die in jedem Takt Temperament versprüht und geistvoll parodiert. Leider wurde die textliche Unterlage in ihrer Gestaltung zu einer Parodie ihrer selbst und höchstens als Studentenulk genießbar. Der Parodie fehlt das zu Parodierende. Der Inhalt erschöpft sich in den Worten: ein armer Ritter, ein geraubtes Burgfräulein, heimliche Liebe des ritterlichen Neffen zu dieser, Giftmordversuch, Happy-End. Das kann man nach Art der Prad- lerschen Ritterspiele aufführen, womit man tief unter der Musik Offenbachs bleibt, die über den Fehler der Regie triumphiert. Die Darsteller zeigten sich von ihrer besten Seite, vor allem Dieter Schreer, Jannet Perry, Annika Melėn, Eva Roland, Douglas Campbell, Kathleen Campbell, Horst Meyer-Edler, David Kehoe und nicht zuletzt Walter Kräutler in seiner doppelten Neffenrolle. Die Bühnenbilder von Wilhelm P. Kortner und die Kostüme von Lucia Listopad zeigten Phantasie, der die Regie (Klara Huszär) nicht ganz nachkam. Temperamentvoller Dirigent war Ottavio Ziino, das Orchester des Österreichischen Rundfunks folgte ihm willig.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung