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Dubravka Ugresic: Demokratie ist nur ein Wort

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In der Nacht wurde sie aus dem Schlaf gerissen. Polizisten durchsuchten ihre Wohnung. Sie wollte Fragen stellen und bekam Ohrfeigen. Auf dem Polizeiposten mußte sie fast bis zur totalen Erschöpfung Fragen beantworten. Diese Behandlung widerfuhr der regimekritischen Schriftstellerin Dubravka Ugresic nicht etwa im längst zerbrochenen kommunistischen Vielvölkerstaat Jugoslawien oder in den finstersten Winkeln der Republika Srpska, sondern im vermeintlich demokratischen Kroatien. Die Literatin wurde von den Tudjman-Anhängern zur „Hexe” erklärt und mußte für einige Zeit sogar das Land verlassen. Autoren, die wiederholt Franjo Tudjman und seine regierende Partei HDZ als alleinige Hoffnungsträger für wirtschaftliche und politische Prosperität in Frage stellen, sind Repressalien seitens der Staatsmacht sicher.

Als Kroatien 1992 seine Unabhängigkeit erklärte, schien für viele Schriftsteller und Journalisten die unbegrenzte Freiheit des Wortes Realität zu werden. Die anfänglichen Hoffnungen verflogen jedoch rasch, als sich die neuen Werte letzten Endes nur auf die Verherrlichung Präsident Tudjmans und der siegreichen kroatischen Armee reduzierten. Ein ,,-ismus” hatte den anderen abgelöst - statt Kommunismus war Nationalismus angesagt. Für kritische Schriftsteller gilt seither: gegen den Strom schwimmen oder auswandern. Die erste Möglichkeit ist verbunden mit Repressalien und dem Kennenlernen der „erzieherischen Methoden der kroatischen Polizei” (Ugresic mit ihrem üblichen Zynismus) bis hin zu öffentlichen Schmähungen, Veröffentlichungsverbot und Verlust des Arbeitsplatzes.

Dubravka Ugresic reiste in die Vereinigten Staaten aus und bekam dort von einer Amsterdamer Zeitung den Auftrag, über ihre Eindrücke in der neuen Welt Kolumnen zu verfassen. Eine Überschrift für diese Serie war rasch gefunden: „My American Dic-tionary” - „Mein amerikanisches Wörterbuch”. Ugresic stellte aber bald fest, daß ihre persönlichen Vorstellungen über das Gastland überhaupt nicht der Realität entsprachen. Aus „Dictionary” wurde „Fictionary” und ihre Texte wühlten ständig in den Erinnerungen an ihre Heimatstadt Zagreb. Ugresic' „Fictionary” beschreibt die Stimmungen eines Menschen, der gerne nach Hause möchte, aber nicht darf. Einer ihrer Freunde definierte ihre Texte folgendermaßen: „Jedes Wort ist so traurig, als wäre sie allein in einem leeren Haus.”

Zdravko Zima ist auch schon mit den Behörden zusammengekracht. Mit seinem Essay „Einübung des Ungehorsam” hat er sich bei den offiziellen Vertretern Kroatiens Feinde geschaffen. Er mißt den Wert des neuen Staates an seinen Ordnungshütern und vergleicht die Wertigkeit der „re-darstvenici”, die Ordnungshüter der kroatischen Polizei, mit den „mileki”, den Milizionären der ehemaligen jugoslawischen Polizei. „Was ist schon anders geworden?” fragt Zima, der totgeglaubte autoritäre Mechanismen wieder funktionieren sieht: Ein perfekt ausgebautes Denunzianten-netz, das jede regimekritische Äußerung in der Öffentlichkeit („Verbaldelikt”) zur Anzeige bringt oder das Abhören von Telefonen. Demokratie ist in Kroatien eben nur ein Wort.

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