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Fortissimo aus Kindermund

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Das Geschrei einer Vierjährigen in drei Meter Entfernung bringt es auf 107 Dezibel, die Sprößlin- ge im Auto auf 95 Dezibel.

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Das Geschrei einer Vierjährigen in drei Meter Entfernung bringt es auf 107 Dezibel, die Sprößlin- ge im Auto auf 95 Dezibel.

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Musik, weil mit Geräusch verbunden, wird als störend oft empfunden ... “ dichtete, beziehungsweise seufzte der Max-und- Moritz-Wilhelm Busch. Unser Peter Rosegger vertiefte den künstlerischen Aspekt psychologisch.

Ein probender Sänger, dessen falscher Gesang den Nachbarn plagte, erklärte, daß er die eigene Stimme stets als die eines besseren, ja des besten Sängers überhaupt höre. Jeder sein eigener Placido Domingo! Die Nachbarn freilich, so vermerkt Rosegger lakonisch und abschließend, hören freilich keine Besseren.

Die Männer - und Frauen - im Orchestergraben hören indes, wenn der Dirigent das „Fortissimo“ des Komponisten befiehlt, bis zu 130 Dezibel, was dem Start eines Düsenflugzeugs entspricht.

Der geneigte Musikliebhaber möge sich bitte vor Augen und Ohren halten, mit welchen Qualen und Gehörschäden sein künstlerischer Genuß erkauft ist!

In der sensiblen Umwelt-Diskussion geht ohnehin die Angst vor Beethovens Spätleiden um. Nicht nur Kirchenglocken, die auf Flüsterton geschaltet werden sollen, sind gerade noch zulässig. Sogar Kuhglockengebimmel wird schon vor dem Bezirksrichter abgehändelt.

Ruhe ist, so Preußens Ruf im Alpenlande, die erste Bürgerpflicht! Ruhe vor allem auch aus Kindermund. Wann wird der erste FlüsterSpielplatz eröffnet? Wann werden Eltern von der Senioren-Miliz angehalten, Schallschutzmauern um die Kinderzimmer zu bauen? Oder wer erfindet für Kinder den Schallschutz-Helm, der den Urschrei des Nachwuchses in Kunststoff erstickt? Immerhin Aspekte für Österreichs innovative EU-Produkte!

Als der Lärm eines Flugplatzes, den er zu überwachen hatte, dank fortschrittlicher Technik und vermutlich auch resignierender Gewöhnung der Anrainer ins Erträgliche abgeklungen war, suchte ein vifer Meßtechniker im privaten Experiment ein neues Betätigungsfeld. Er registrierte die Lärm-Emissionen seiner eigenen Kinder. Die Werte sind beachtlich. Das Geschrei einer Vierjährigen in drei Meter Entfernung bringt es auf 107 Dezibel. Drei Sprößlinge, auf dem Rücksitz eines Autos rangelnd und streitend, emittieren 95 Dezibel. Alles längst im Sinne des Lärmschutzes unerträgli che Belastungen, denn sie entsprechen dem Rattern eines Güterzuges.

Die cleveren Gewerkschafter haben für solche Lärm-Einflüsse am Arbeitsplatz längst ein Heilmittel gefunden: eine entsprechende Lohn- Zulage, die der Finanzminister sogar steuerfrei gewährt. Die Familien kämpfen bekanntlich für ihre Beihilfen um die rechten Begründungen, denn bloß Kinder zu haben reicht nicht ganz überzeugend. Wie wäre es mit einer Lärm-Zulage für Eltern?

Da die Familienministerin auch für die Umwelt zuständig ist, muß sie freilich die Folgen bedenken. Alle Anrainer von Familien mit Kindern, von Spielplätzen, von Kirchen und Kuhweiden, aber auch die Musiker, werden dann die Dezibel- Emissionen, denen sie ausgesetzt sind, begehrlich vorlegen. Und da flüstert dann sehr schallgedämmt der Ministerin ein Berater ins Ohr: Lieber nicht!

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