Geld, nichts als Geld

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Jean-Christophe Rufins Roman "Globalia" kratzt am Kern, der unsere Welt "im Innersten zusammenhält".

Die Menschheit hat es geschafft. Perfekte Demokratie, keine Kriege, keine Unwetter. Und das weltweit. Kulturen sind gleichberechtigt, Minderheiten geschützt. Es gibt keine Grenzen mehr, nur noch einen einzigen großen Staat: Globalia. Der kann seine Bürger ernähren und beschützen, vor der Natur, vor Feinden - und vor sich selbst.

Der französische Arzt und Schriftsteller Jean-Christophe Rufin hat in "Globalia" eine Utopie entworfen, die Elemente aus der "Schönen neuen Welt" und aus "1984" zu einer Szenerie montiert, die schauerlich realistisch erscheint. Wir schreiben ein unbestimmtes Jahr in mehr oder weniger ferner Zukunft. Die Welt ist ein einziger riesiger Vergnügungspark, ganz Globalia von einer gigantischen Glaskuppel überdacht, unter der alles simuliert wird, was das Herz des Durchschnittsbürgers begehrt. Die Zeitrechnung ist aufgehoben, die Jahre fließen ununterscheidbar dahin, Alter ist In, Jugend ist Out, Nachrichten und Informationen sind eine derart unübersichtliche Flut, dass niemand sich mehr dafür interessiert.

In Papierflut ertrunken

Bücher sind zur Seltenheit geworden und fristen ein halb vergessenes Dasein in halb vergessenen Vereinen. Es war nicht nötig, sie zu verbieten. Es reichte völlig, eine Zeitlang so viele zu drucken und zu verramschen, bis sie keiner mehr sehen konnte. Bücher sind in der eigenen Papierflut ertrunken. Und die Gesellschaft wurde so lange mit Information überfüttert, bis sie die Desinformation lieben lernte - und eine Handvoll greiser Wirtschaftsbosse mit ihr tun konnte, was immer deren Macht und Kapitel vermehrt ... Politiker spielen ihre Marionettenspielchen, zu sagen haben sie nichts. Denn Money makes the world go round - Geld und nichts als Geld.

Jean-Christophe Rufin kratzt am Kern, der unsere moderne Welt "im Innersten zusammenhält".

Unter dem spannenden Thriller verbirgt sich schärfste Zivilisationskritik, die sich wohl nicht zuletzt aus den Reisen des Autors nach Zentralamerika und Ostafrika speist. Mitbegründer und ehemaliger Vizepräsident von "Ärzte ohne Grenzen" war Rufin, aber auch Staatssekretär im französischen Verteidigungsministerium. Der Einblick in diese derart unterschiedlichen Bereiche ist literarisch in "Globalia" eingeflossen, unter anderem in die traurige Wahrheit, eine Gesellschaft brauche Feindbilder. Und sind keine konkreten Feinde vorhanden, liegt nichts näher, als sich welche zu erschaffen.

Feindbilder erschaffen

In Globalia ist es der Terrorismus. Eigentlich längst ausgestorben, wird er vom "Gesellschaftsschutz", der die Attentate mittlerweile höchstselbst verübt, künstlich am Leben erhalten. Ohne wohldosierte Angst keine wohlparierende Society. Ideal zum Schüren dieser Furcht wäre so ein richtiger Feind aus Fleisch und Blut. Der junge Baikal, von seiner burjatischen Mutter nach dem ältesten, saubersten, kältesten und tiefsten See der Welt benannt und damit nachgerade ein Sinnbild der Natur, kommt hier gerade recht. Kräftig, ungezähmt und neugierig auf das Leben jenseits der Glaskuppel, wie er ist, schreit er doch geradezu danach, in der unzivilisierten Non-Zone ausgesetzt zu werden, wo sich das Rest-Leben außerhalb Globalias zwischen Endzeit und Steinzeit abspielt. Man tut ihm ja direkt einen Gefallen damit. Dass seine Freundin zunächst in Globalia festgehalten wird, macht ihn vielleicht tatsächlich zum hasserfüllten Terroristen, den man im Interesse der Allgemeinheit jagen sollte, oder doch nicht? Oder geht es vielleicht um ganz andere Dinge, um innere Intrigen, um Machtspielchen ganz oben von Wirtschaftsboss zu Wirtschaftsboss, doch selbst sie haben wenig zu sagen, außer: "Das Imperium, das mir mein Vater hinterlassen hat, funktioniert von selbst und gibt mir nur ein einziges Recht: mich zu bereichern. Alles wurde so geplant, dass ich nichts entscheiden, nichts ändern kann."

Denn das ist das einzige, was die Menschen in ihrem goldenen Käfig namens Globalia nicht haben: echte Entscheidungsfreiheit. Und das scheint kaum jemanden zu stören, denn wie Brecht schon sagte: Erst kommt das Fressen und dann kommt die Moral.

GLOBALIA

Roman von Jean-Christophe Rufin

Übersetzung von Claudia Steinitz

Verlag Kiepenheuer & Witsch

Köln 2005

501 Seiten, geb., e 23,60

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