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Digital In Arbeit

In Faulkners Nachbarschaft

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Ein Städtchen in Georgia, USA: Es besteht aus einer Baumwollmühle, um die einige zweiräumige Arbeiterhütten errichtet wurden, einer Kirche und einer einsamen Landstraße, die am Sumpf entlang zur nächsten Stadt führt. Die Gleichmäßigkeit der Arbeit zählt die Tage, und am Sonntag gedenkt man der Sündigkeit und geht in die Kirche. Die Häuser sind morsch und windschief, die Gesichter der Leute, der Alten und der Kinder eintönig und verwittert. Kann man an ihnen Erinnerungen ablesen? Erinnerungen an die Zeit des üppigen Cafes von Miß Amelia? Carson McCullers versucht, auf dem Untergrund dieser amerikanischen Siedlung und in der Sprache der dortigen Arbeiter, die Geschichte einer seltsamen, unbegreiflichen Liebe entstehen zu lassen: Miß Amelias Liebe zu einem buckligen Fremden, dem gewaltsamen Ende ihrer Beziehungen und ihrer traurigen Vereinsamung.

Wie in dieser Novelle, so stellt Carson McCullers auch in den sieben Kurzgeschichten, die in dem Band gesammelt sind, Außenseiter oder Ausgestoßene der Gesellschaft in den Mittelpunkt ihrer Erzählung. Doch niemals versucht sie, Schuld und Sühne abzuwägen oder gar linear-psychologisch von Ereignis zu Ereignis fortzuschreiten, um damit in eine Zerrwirklichkeit zu verfallen. Bereits in ihrem ersten Roman, „The Heart is a

Lonely Hunter“ (1940), den sie als Dreiundzwanzigjährige schrieb, und in dem sie das Leben eines Stummen erzählt, gelingt es ihr, durch einfache Schilderung die Tiefen menschlicher Erlebensfähigkeit nachzuzeichnen. In ihrer rückhaltslosen Offenheit und Aufrichtigkeit, Schicksale von Mißhandelten und Verlorenen, Boshaften und träumerischen Irren aus den Südstaaten der USA aufzugreifen und in menschlicher Lebensfülle darzustellen, steht Carson McCullers neben ihrem älteren Nachbarn, William F a u 1 k n e r, dem großen Toten dieser Tage.

„Die Ballade vom traurigen Cafe“ endet mit der Schilderung eines Liedes, das von einer nahen Teerstraße zum Städtchen herübertönt. Ein schwermütig-freudvoller Gesang, begleitet von dem Geräusch der Arbeiter mit Pickel und Schaufel. „Es ist eine Musik, die einem das Herz aufschließt, so daß sogar der Zuhörer vor Entzücken und Furcht erschauert. Dann verebbt sie langsam, bis zuletzt nur noch eine einzelne, einsame Stimme übrigbleibt und dann nichts mehr, als ein großer, heiserer Atem, und die Sonne und das Geräusch der Spitzhacken in der Stille. „Und wer sind die Sänger? Es sind dies zwölf Sträflinge, aneinandergekettet, sieben Schwarze und fünf Weiße. Bloß zwölf sterbliche Menschenkinder, die zusammengehören.“

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