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Kulinarische Krawatten

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Kennen Sie Frau Schön, diese gottbegnadete Habamme aller Wiedergeburt-Krawatten? Wenn nicht, dann tragen Sie entweder keine Krawatten, oder Sie gehören zur seltenen Spezies pedanter Männer, die manchmal tagelang eine Krawatte tragen können, ohne sie als Fleckerlteppich von Gulasch- und Himbeertorten ausweisen zu müssen. Oder Sie sind zum Schluß gar kein Mann?

Mein Freund Robert und ich sind es. Wir sind Männer; mehr sogar: Wir sind „richtige Männer", die ihre Krawatten, Sakkos, Hemden und Pullover ununterbrochen bekleckern. Und darum waren wir jahrelang Stammgäste in der winzigen Putzerei der Frau Schön. Andere Männer sind Stammgäste im Sacher, im Imperial, in einem der zahlreichen Nobelheurigen; wir waren es bei der Frau Schön.

Die kleine, intime, stets nach Frische duftende Putzerei der Frau Schön gibt es leider nicht mehr, doch manchmal erbarmt sich die gute Seele und der Schutzengel meiner hoffnungslos angepatzten Krawatten und sonstiger Kleidungsstücke und kommt mit ihren kleinen Flaschen und ihrem großen Wissen. Trotzdem heißt es: „Aufpassen!"

Leider fruchten auch die wohlmeinendsten Warnungen der besten Ehefrau der Welt nicht viel. Es genügt schon die bloße Nähe eines nur halbgefüllten Suppentellers - von Gulasch und Himbeertorten ganz zu schweigen - und meine Krawatte sieht schon wie die Musterkarte eines Farbengeschäftes aus.

Ich erwäge allen Ernstes, einen Psychotherapeuten auszusuchen: Könnte es sein, daß ich unter der wissenschaftlich noch kaum untersuchten „Fleckomanie" leide? Analog der Kleptomanie stehle ich alle nur möglichen Essensreste und verteile sie ungezwungen auf Hose, Sakko, Krawatte und Hemd. Oder wirke ich als richtiger „Fleckomaniker" wie ein Magnet auf alle nur möglichen Suppen, Säfte und Soßen?

Bevor ich einen für mich geeigneten Psychoklemptner finde, kommen wir auch heuer der Einladung unserer Freunde Liesl und Erich nach und fahren einige Tage nach Strobl. Hinter dieser nicht sonderlich abenteuerlichen Fahrt stehen jedoch mehrere Koffer. Nämlich Helga, die bereits erwähnte vorsorglichste Ehefrau der Welt, packt für mich alles doppelt ein; Hosen und Sakkos zu jedem Anlaß zwei Hemden. Ungefragt höre ich ihren Komentar: „Du könntest Dich ja anpatzen...!" (Was heißt: „Du könntest..." - ich kann es!) Ich kann mich überall und ununterbrochen an-patzen, ankleckern, schmutzig machen.

Gratuliere. Als „Autoheiler" (das ist kein Kfz-Mechaniker, sondern ein seelisch Labiler, der sich die Therapeutenkosten erspart) fand ich nämlich die richtige Lösung. Ich verstecke mich nicht mehr hinter den fadenscheinigen Ausflüchten des „Ich kann nichts dafür..." und „Das wollte ich wirklich nicht...", sondern bekenne mich zu meiner (fast) abartigen Neigung der „Fleckomanie".

Jetzt bin ich sichtlich und fühlbar erleichtert. Ich brauche auch nicht mehr für die Olympiade der „ungeschicktesten Männer der Welt" zu trainieren, sondern trage - frei, stolz und offen - meine kulinarisch schillernden Krawatten, Sakkos und Hemden. Ich stehe da, blicke stolz um mich - und keineswegs auf meine Krawatte - und marschiere erhobenen Hauptes zum Mittagstisch. Obwohl ich ein selbstbewußter „Fleckomaniker" bin, binde ich trotzdem („Vorsicht ist die Mutter meiner Krawatten") eine Serviette um. Ich beuge mich langsambedächtig vor, hebe den ersten Löffel Gulaschsuppe hoch und ... das breite Ende meiner Krawatte samt Serviette schwimmen schon im Gulasch.

Hallo! Liebe Frau Schön ... wo sind Sie?!

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