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Kampf um eine Krawatte

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Als ich morgens meine Krawatten an der Schranktür musterte (sie hängen innen wie ein Bündel Schlangen und warten im Dunkeln, wer von ihnen drankommen wird) — da fand ich sie schäbig, verrunzelt, frühzeitig gealtert und beklagte mein Schicksal, so etwas am Halse hängen zu haben… Ich beschloß, mir eine neue zu kaufen. Kein leichter Entschluß. Es ist ja kaum ein Mensch ganz geizig oder ganz freigebig, sondern man hat seine speziellen Knauser- und Verschwendungsgebiete. Bei mir zum Beispiel ist vor dem Kino eine Mark grade noch ‘ne Mark, doch sowie es ans Krawattenkaufen geht, ist diese Mark nicht mehr wiederzuerkennen und schnellt auf drei fünfundsechzig hinauf. Kurz, ich bin in puncto Krawatten, verzeihen Sie, ein Geizkragen.

Mit diesem festgeknüpften Entschluß trat ich auf die Straße und sah an der Ecke einen Haufen Menschen um einen Pappkarton mit Krawatten versammelt. Der Verkäufer apostrophierte das Gedränge wie einen Haufen Glückspilze: .. Also, wie ich schon sagte, eine ganz große Gelegenheit — drei Stück zwei Mark — aus der Liquidation einer ersten Firma — hier heißt es zugreifen, hier heißt es kaufen!“ — und alle griffen gierig und prüften zwischen den Fingern. Das war wie im Kino, wenn die Wüstengeier schnabelhackend auf einer toten Ziege herumhüpfen. Schon flatterte auch ich heran und fragte den Verkäufer leise: „Kunstseide?“ — „Was dachten Sie?“ fragte er zurück, und ich entfernte mich hoheitsvoll-gelassen.

Dann kam ich vor ein Schaufenster, darin standen lauter starre Kinohelden in Anzügen mit Preisbezeichnung und grinsten übers Gesicht, als ob sie sich einen riskanten Witz erzählt hätten. Daneben wölbten sich schneeweiße, kugelsichere Hemdbrüste, welche so dämonisch elegant waren, daß man die drin fehlenden Menschen gar nicht bemerkte. Am schönsten aber waren die Krawatten Sie hießen alle „Reine Seide“ und schienen dabei eine seltsame Angst vor runden Zahlen zu haben. Stets nahmen sie einen Riesenanlauf auf vier Mark, auf sieben Mark zu und blieben dann, an allen Gliedern zitternd, bei drei Mark neunzig oder bei sechs Mark neunzig stehen — ganz wie ein Rennpferd, das nicht über die Hürde will. Aha, dachte ich, das ist der einschläfernde Fehlbetrag, die gewissen psychologischen zehn Pfennig — jener fatale Tropfen, der das Faß zum überlaufen bringt.

Schon wollte ich auf die Klinke drücken und mir den Schlips von der Seele ringen … als ich zögerte und noch ein bißchen auf und ab ging: wie ein richtiger Krawattengeizhals, der das Portemonnaie möglichst langsam öffnet, um Zeit zu gewinnen. „Please, push me in the water!“ bat mich einmal ein Jüngling, der Angst vor dem kalten Bassin hatte und blauzitternd immer drum herumtrabte .. . „Ach was“, empörte ich mich jetzt innerlich, „so eine Krawatte ist das unnützeste Ding von der Welt! Wärmt sie etwa? — Nicht daß ich wüßte. Hat sie irgend etwas festzuhalten? — Im Gegenteil, sie rutscht sogar selber; man muß sie noch extra mit einer Nadel totstechen, damit sie still bleibt. Ein Ornament also, eine Verzierung, ein Nasenring — aber bin ich ein Zulukaffer? Soll ich wie ein Schlangenbeschwörer mir so eine Giftnatter um den Hals hängen? Jedenfalls ist die Krawatte ein Zeichen — immer der Zeit, die sie fabriziert und schön findet.

Vor fünfzig Jahren, als man noch steif und fest an die Technik glaubte, da trug man steife Kragen und festgelötete Krawatten mit einem kleinen Blechnestchen für den Kragenknopf. Doch das unerforsch- liche Schicksal hatte Feindschaft gesetzt zwischen dem Blechnestchen und dem Kragenknopf, die beiden waren in einem ewigen Scheidungsprozeß begriffen — an diesem winzigen Punkte brach die erklügelte, gestärkte und gelötete Maschinerie regelmäßig zusammen. Bis die Menschheit den Kampf aufgab und zu weichen Hemden und Selbstbindern überging. Und nun ward die Krawatte dasselbe für den Anzug wie die Blüte für das Laub: ein aufbrechender süßer Dufttaumel der Phantasie, in welchem die Pflanze eine zarte Wiedergeburt in neuen Farben und Formen feiert… Auch die Berliner Pflanze, aus deren weichen Kragenblättern ungeahnte Schlipsblüten aufbrachen. Nur daß sie meist nicht zum Anzug passen. Darum schau dir in einem Blumenladen bloß die Blüten an und suche dir die dazu passenden Blätter und Stengelformen vorzustellen. Dann wirf einen Blick aufs Ganze — und du wirst sehen, daß Blätter und Blüten immer noch köstlicher zueinander passen, als man sich’s je vorstellen konnte, ja, daß sie die einzig möglichen sind! Also verhalte sich die Krawatte zum Anzug. Denn sie steht an der wichtigsten Stelle: dort, wo die Kleidung aufhört, um der mit Adamsapfel und Kinnbacken herauswachsenden Zentrale Raum zu geben.“

Diese Überlegung gab mir wieder die Klinke in die Hand. Im Geschäftsraum standen fünfunddreißig Glasreflexe sowie ein eleganter Verkäufer. „Ich möchte eine Krawatte“, sagte ich. — „In welcher Preislage?“ fragte er. — „Zeigen Sie mir, was Sie haben“, sagte ich schlicht.

Ich sage das immer. Denn zur Wonne des Einkaufens gehört, daß der Kommis auf einen einredet. Unter so einem Redeschwall stehe ich fast betäubt und lasse die Dusche der Banalität über die Nerven plätschern. Das ist fast so wunderbar, wie wenn der Friseur, mit der Schere immer heftiger klappernd, hier noch ein Schnipselchen abschneidet und dort noch eins abschneidet und kurz in die bekannte Friseursrage gerät… Dann halte ich still unterm weißen Mantel und schließe die Augen. Schade, daß die Haare nicht schneller wachsen. Darum zeigte ich mich in puncto Krawatten völlig unwissend. Doch statt des erhofften Redeschwalles legte er mir drei Kästen vor und nannte bloß nüchtern die Preislagen. Ich suchte ihn durch unentschlossenes Schwanken zum überreden anzustacheln.

Zuerst nahm ich eine blauseidene mit weißen Punkten heraus und sah ihn fragend an. „Blau mit weißen Punkten!“ rief er, sich allmählich erwärmend — „das ist ein ewiger Krawattentyp. Das ist der blaue, weißgestirnte Nachthimmel, der steht über allen flüchtigen Gewölken der Mode. Sie paßt zu jedem Anzug, wie der Himmel zu jeder Landschaft. Diese Krawatte hat eine große Tradition, englische Ministerien sind durch sie gestürzt worden. Die Krawatte des seriösen Herrn …“

Schluß. Er schien über die Blauseidene nichts mehr sagen zu wollen. Ich ließ sie wie glühendes Eisen fallen, griff nach einer bordeauxroten mit altgoldenen Streifen und sah ihn wieder fragend an. „Streifen!“ rief er, „die große Mode. Sehen Sie, mein Herr, Streifen oder Punkte, das sind die beiden Grundrichtungen der Krawatte. Natürlich, es gibt auch solche mit Streifen und Punkten, aber das sind Abschreckungsmittel. Ich habe einmal ein Kreuzungsprodukt zwischen englischem und arabischem Vollblut gesehen — eine tragikomische Schindmähre, mit zwei Füßen auf dem Rasen, mit zweien in der Wüste … Ah, Streifen, das ist der große Horizont, wö sich Himmel und Erde berühren, das sind golddurchwirkte Sonnenaufgänge, blutdurchwobene Sonnen-Untergänge… Streifen teilen die Welt in ein Oben und Unten; Streifen bedeuten ein Ja, ein Nein, eine gerade .Linie, ein Ziel!… Streifen trägt der Mann der weiten Horizonte. Nehmen Sie diese, mein Herr …“ Ganz schnell griff ich nach einer schottisch karierten.

„Schottisch kariert“, sprach er ein wenig enttäuscht. „Die Erde schwimmt bekanntlich auf drei Walfischen. Dieses ist die dritte große Krawattenrichtung. Schauen Sie her: der Grundton ist grün. Und mm sind da zwei Streifen, die laufen rechtwinklig aufeinander zu — die sind auch grün, aber nicht ganz. Sie machen mit, bergen jedoch ein Geheimnis … Und nun geschieht das Unerwartete, auf dem dieses Muster aufgebaut ist: die beiden aufeinander zustrebenden Streifen treffen sich, laufen durcheinander durch — schimmern dabei auf in reinstem Blau — das wahlverwandte Geheimnis wird offenbar — alle Rätsel sind gelöst — die beiden verweben sich in ihrem innersten Licht — erleben, wenn Sie wollen, einen Augenblick ungetrübten Glückes — und trennen sich dann wieder, ins allgemeine Grün zurückfallend, für ewige Zeiten … Ein Muster der Sehnsucht — ,Mein Herz ist im Hochland, mein Herz ist nicht hier!’ Eine spirituelle Krawatte, wenn ich so sagen darf…“

„Was kostet sie?“

Er blickte flüchtig auf die Hieroglyphenzeichen des Etiketts.

„Eine besondere Gelegenheit“, sagte er auf leucht end. „Die Krawatte ist zurückgelegt — so sehr zurückgelegt, daß sie bereits wieder vorgelegt werden kann: als die Mode von morgen. Vier fünfundneunzig, mehr als geschenkt…“

Hier hatte ich die letzte, furchtbarste Entscheidung mit meinem Portemonnaie durchzukämpfen. Die schottische Krawatte hatte es mir angetan: sie gab mir keine Luft mehr, sie zog sich immer fester um meinen Hals zusammen.

Fast wie ein Schotte zog ich meinen Geldbeutel zögernd hervor. Ich öffnete ihn. Eine Motte flog heraus.

„Eine Motte, eine Motte!“ schrie der Verkäufer und suchte sie, mit den Händen gleichsam applaudierend, zu fangen.

„Wickeln Sie ein“, sagte ich stolz und ließ ein Geldstück silbern auf den Glastisch auflachen.

Dann nahm ich meine psychologischen fünf Pfennig mit dem Paket in Empfang, ging nach Hause und band sie mir um. Aus dem Spiegel blickte mir jener wohl- bekannte einzige Mensch entgegen, den ich noch nie in Wirklichkeit gesehen habe.

„Ės glaubt’s kein Mensch (so murmelte ich mit Nestroy), was der Mensch alles braucht, bis er halbwegs einem Menschen gleichsieht…“

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