"Riechen ist emotional"

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Peter Walla, Professor für kognitive Neurobiologie an

der Universität Wien, über "hündisches" Riechen,

duftende Emotionen und Neuromarketing.

Die Furche: Im Zentrum des Buches "Das Parfum" steht Jean-Baptiste Grenouille, der 1738 in Paris, dem "allerstinkendsten Ort des gesamten Königreichs", geboren wurde, einen außergewöhnlichen Geruchssinn besaß und später Jungfrauen tötete, um ihren Duft zu konservieren. Abgesehen von der "Mördergeschichte": Kann es das geben, dass Menschen übermenschlich riechen?

Peter Walla: Es gibt Berichte, dass Menschen - auf Grund von Fehlfunktionen bestimmter Hirnareale - plötzlich "wieder" in der Lage sind, besser und intensiver riechen zu können. "Wieder" deswegen, weil es in der Evolutionsgeschichte früher auf jeden Fall so war. Der Mensch ist ja ein Säugetier - wie etwa auch der Hund. Und Hunde können ja bekanntlich sehr gut riechen, sie können viele verschiedene Duftstoffe voneinander unterscheiden und haben bereits mit sehr wenigen Duftmolekülen eine Wahrnehmung. Wir Menschen sind in der Lage, bis zu 5000 verschiedene Duftstoffe zu unterscheiden. Es ist aber die absolute Empfindlichkeit herabgesetzt. Bei bestimmten Hirn-Läsionen können Menschen jedoch das Gefühl haben, wie Hunde zu riechen: Für sie ist der Hauptsinn dann nicht das Sehen, sondern das Riechen: Sie interpretieren die Welt gleichsam über die Nase.

Die Furche: Umgekehrt heißt es, dass bei Alzheimerpatienten die Geruchsfähigkeit eingeschränkt sei ...

Walla: Es gibt hier tatsächlich einen Zusammenhang, und zwar deshalb, weil die Hirnstrukturen, die von der Alzheimerschen Krankheit betroffen sind, auch für die Geruchsverarbeitung im Gehirn verantwortlich sind. Es kommt also schon zu Beginn der Erkrankung zu Beeinträchtigungen des Riechvermögens. Deshalb verwendet man bei der Diagnose zusätzlich Geruchstests. Umgekehrt heißt das aber nicht, dass ein beeinträchtigter Geruchssinn unbedingt mit Alzheimer verbunden ist.

Die Furche: Ist es auch möglich, dass ein Mensch - wie Grenouille - selbst nach gar nichts riecht?

Walla: Das halte ich für unmöglich. Denn ein Organismus lebt - und Leben heißt immer Stoffwechsel. Im Zuge der Abgabe von Produkten kommt es immer zu Ausscheidungen, und die riechen. Ein Mensch ohne Ausdünstung muss also tot sein - und selbst ein toter Mensch riecht, weil es immer noch Stoffwechsel gibt.

Die Furche: Was passiert genau, wenn wir riechen?

Walla: Es beginnt mit den Duftmolekülen um uns herum. Die bis zu 30 Millionen Riechsinneszellen, die sich in der Riechschleimhaut in unserer Nase befinden, haben nun die Aufgabe, diese Duftmoleküle in die Sprache des Gehirns zu übersetzen. Diese elektrischen Impulse werden dann über die Nervenbahnen an das Gehirn übermittelt. Die Besonderheit des Riechens bei uns Menschen ist, dass die Riechbahn direkt in die Amygdalae, die so genannten Mandelkerne, reicht, die dem limbischen System angehören, das unsere Emotionen verarbeitet. Alle anderen Sinne werden über den so genannten Thalamus, der sich im Zwischenhirn befindet, zwischenverschaltet, um dann an die Hirnrinde zu gelangen. Der Geruchssinn hat also sehr alte, direkte Verbindungen im Gehirn. Riechen ist also sehr emotional.

Die Furche: Welche Folgen haben diese direkten Verschaltungen?

Walla: Das heißt, dass das menschliches Riechen sehr eng mit emotionaler Informationsverarbeitung verbunden ist - wenn nicht sogar evolutionsgeschichtlich ein und dasselbe ist. Wobei die Mandelkerne dafür bekannt sind, besonders negative Emotionen zu verarbeiten. Das menschliche Riechen könnte evolutionsmäßig so entstanden sein, dass es dazu diente, Gefahren zu vermeiden, also negative Duftstoffe wie brennendes Holz, wahrnehmen zu können. Und im Weiteren könnte daraus auch das, was wir heute als emotionales System bezeichnen, entstanden sein.

Die Furche: Düfte berühren also in besonderer Weise unsere Emotionen?

Walla: Ja. Und Düfte fungieren auch als Wiedererinnerungshilfe für unser Gedächtnis. Wenn man starke Emotionen hat, dann prägt sich alles, was gerade passiert, nachhaltig ein und lässt sich auch nach Jahrzehnten wieder lebendig abrufen. Und Düfte können diese Erinnerungen auslösen.

Die Furche: Gerüche können auch zum Handeln - oder zum Kaufen - anregen. Ein Phänomen, das Sie in Ihrer Firma "Neuroconsult" nutzen ...

Walla: Von unserer Seite geht es nur darum, Forschungsdienstleistungen, konkret angewandte kognitive Neurobiologie, anzubieten. Unsere wissenschaftlichen Studien können dann von Unternehmen im Sinne von Neuromarketing verwendet werden. Für das Marketing ist es offensichtlich sehr interessant zu erforschen, wie emotional beladene Bilder oder auch Duftstoffe im Gehirn verarbeitet werden, um etwa die Werbewirksamkeit zu steigern oder bestimmte Klientelgruppen effizienter ansprechen zu können.

Die Furche: Wen haben Sie bisher beraten?

Walla: Wir haben etwa eine Untersuchung für Unilever gemacht (in Österreich Eskimo), wo wir herausgefunden haben, dass Eisesssen die Stimmungslage hebt - im Vergleich zu anderen Nahrungsmitteln. Hier ging es zwar nur um Geschmack, aber insgesamt haben Geschmack und Geruch natürlich sehr viel miteinander zu tun. Wenn es um das Aroma einer Speise geht, dann ist immer auch Riechen im Spiel.

Die Furche: Wenn es beim Neuromarketing darum geht, Effekte im Gehirn zu Marketingzwecken zu erforschen: Wo verläuft dann die Grenze zur Manipulation?

Walla: Von Manipulation kann hier keine Rede sein. Dass unbewusste Phänomene in der Werbung auftreten, passiert ständig. Das hat auch nichts mit Neuromarketing zu tun, sondern so funktioniert Werbung einfach. Ein Mann wird sich nachweislich länger in einem Geschäft aufhalten, wenn dort eine nach seinem Geschmack hübsche Dame als Verkäuferin fungiert. Es geht auch nicht darum, ein Produkt unwiderstehlich zu machen, sondern darum, es für ein bestimmtes Individuum so zu gestalten, dass es seinen Bedürfnissen genauestens entspricht. Ein Unternehmen kann mit dieser zielgruppengerechten Produktauswahl Unsummen an Geld sparen.

Die Furche: Was halten Sie von der aktiven Beduftung von Geschäften?

Walla: Hier muss man aufpassen, weil wir in der Grundlagenforschung herausgefunden haben, dass unbewusstes Riechen bei uns Menschen sehr dominant ist. Außerdem kann eine übermäßige Beduftung eines Geschäfts auch nach hinten losgehen.

Die Furche: Inwiefern?

Walla: Wir wissen, dass ein negativer Duftstoff, etwa Schwefelwasserstoff, der nach faulen Eiern stinkt, nicht unbedingt von allen als negativ wahrgenommen wird. 15 bis 20 Prozent sagen: Das riecht gar nicht einmal so schlecht. Umgekehrt gibt es auch Daten, dass ein Duftstoff wie Phenylethylalkohol, der nach Rose riecht, von 15 bis 20 Prozent als negativ empfunden wird. Man darf also nicht davon ausgehen, dass ein nach seinem eigenen Geschmack bedufteter Laden auf sämtliche Kunden eine positive Wirkung hat.

Die Furche: Verschiedene Geschmäcker gibt es wohl auch bei Parfums ...

Walla: Natürlich. Es gibt schon rein biologisch gesehen verschiedene Ausdünstungen von Menschen unterschiedlicher Kulturen, was mit den unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten zusammenhängt - und dieser unterschiedliche Geruch prägt wiederum das Riechvermögen der Menschen. Wenn man der Evolution nur lange genug Zeit lässt, dann kann sich das sogar genetisch festlegen. Dass man in Asien, Europa und Afrika unterschiedliche Parfums präferiert, ist also naheliegend.

Die Furche: Haben Sie selbst ein Lieblingsparfum?

Walla: Ja: "be" von Calvin Klein. Dieser Duft korreliert zwar nicht mit der Erinnerung an eine Partnerin oder ein positives Ereignis - aber er begeistert mich trotzdem.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

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