Sandkasten-Patriarchen

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn der Frühling kommt, wenn der Sommer kommt, erinnern Sie sich noch? Die Luft so blau, der Rasen so grün, und es blüht die Welt in den Gärten und Parks, und die Liebespaare vom vorigen Jahr schieben Kinderwagen mit den statistischen 1,37 Kindern und dem Sparpaket im Familienrucksack. Und die Kinderwagen vom vorigen Jahr werden zu Dreiradlern, die den alten Damen beinahe über die Zehen fahren. Der Generationenkonflikt ist programmiert, falls der Himmel nicht gerade in diesem Augenblick den Wolkenschleier wegzieht und die Sonne jeglichen Ärger aufsaugt. Das Paradies seliger Kindheit, von Kommunalverwaltungen großzügig gestaltet und gefördert, naht in Form eines Spielplatzes. Riesenrutsche, Schaukel und Indianerdorf zeugen von Investitionsfreude und Raumplanung, aber das wahre archaische Eldorado ist immer noch der Sandkasten, für saubere Stadtkinder bekanntlich der einzige Ort, an dem legitimer Kontakt mit dem Boden geduldet und möglich ist.

Psycho- und Soziologen, auch im Amateurstatus, schätzen den Sandkasten besonders und den Spielplatz allgemein als Beobachtungsfeld menschlichen Verhaltens. Entstehung, Aufschaukelung und Austragung von Aggression, Besitzneurose und Frust, auch Versöhnung und Friede lassen sich hier geradezu modellhaft für die großen Probleme der Welt, von Grenzziehung bis Kriegsschauplatz, verfolgen. So manche Feldstudie hat, hinter Sonnenbrillen getarnt, hier Ausgang und Bestätigung gefunden.

Auch das Büro für Frauenfragen lenkte in einer Wiener Studie den analytischen Blick auf die öffentliche Spielplatz- und Sandkastenszene und entdeckte den Urgrund geschlechtsspezifischen Verhaltens. Hier also, wo die spielerische Eroberung der Welt beginnt, herrscht bereits das brutale Patriarchat. Denn nicht weniger als 80 Prozent, so die Studie "Verspielte Chancen - Mädchen in den öffentlichen Raum", der jungen Frequenz sind männlichen Geschlechts. Lassen wir die Unschärfen dieser für den Feminismus niederschmetternden Erkenntnis einmal beiseite! Es wäre ja immerhin bei der Uni-Sex-Bekleidung der heutigen Kinder möglich, daß die Statistiker bloß die Hosen gezählt und sämtlich den Buben zugeordnet haben. Wie dem auch sei, eine erdrückende männliche Dominanz entspricht ja schon der Erfahrung laienhafter Beobachtung.

Woher diese eklatante Verzerrung der Durchschnitts-Population? Die immer noch zu braven Mädchen trauen sich nicht. Wo Männer wie im späteren Berufsleben das Feld beherrschen, sind die Claims abgesteckt. Ob da mit Gatsch-Knödeln oder Fußbällen geschossen wird, ist eigentlich egal. Die sittsamen Mädchen dürfen mittlerweile in einer Ecke Sandkuchen backen. Die männliche Gruppendynamik ist unbarmherzig. Hier wachsen sie heran, die harten Männer mit verschmiertem Gesicht und Indianergeheul, die Giganten und Bürohengste von morgen. Nur wer ihnen als wackere Räuberbraut Paroli bietet, kommt morgen als Soldatin zum Bundesheer. Wie diese Elite der bösen Mädchen, die statt in den Himmel überallhin kommen, stärken und zur Eroberung der Spielplätze ermuntern?

Die Sache hat ja auch einen fiskalischen Effekt. Wenn Buben weiterhin ihr Sandkasten-Patriarchat pflegen und damit öffentliche Einrichtungen über Gebühr strapazieren, so müßten Eltern männlicher Sprößlinge höher besteuert werden. Vorsicht, der Sandkasten-Schilling steht bevor!

Die praxisbezogenen Frauen wollen indes die Spielplatz-Quote ganz anders anpacken. "Move for Fun!" heißt der Schlachtruf, weil bekanntlich Mädchen im Schuldurchschnitt bessere Noten haben und daher auch besser Englisch können. Es soll betreute Spielflächen und mädchenspezifische Angebote geben. Doch wer treibt den wilden Knaben ihren frühen Männlichkeitskult aus? Und wenn die Psycho- und Soziologen schon im Park sind, wie wäre einmal eine Umwendung?

Zum Ausgleich nämlich wäre auch die ältere Generation auf Bänken und Spazierwegen zu sortieren. Ob da nicht, im Gegensatz zu 80 Prozent Männern im Sandkasten, 80 Prozent Frauen als Besucherinnen zu registrieren wären? Ist das nun gerecht oder ungerecht?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung