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Digital In Arbeit

Von Käfern, Rittern und anderen Insekten

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Kurt Moldovan ist Realist. Er zeichnet, was ist. Freilich ist die Erscheinungsform der Dinge für ihn noch lange keine Befehlsform. Er zeichnet nicht bloß, was sichtbar ist, sondern zuerst und vor allem, was wirklich ist. Kräfte und Erscheinungen, Strömungen und Schwingungen, all das, was wir an unserer Haut, mit unserem Auge und in unserem Bewußtsein spüren. Die vielfältige Realität unserer Welt also, wie sie sich uns an einem bestimmten Ort entgegenstellt.

Kurt Moldovan ist kein visionärer Künstler. Visionen, Gesichte, Träume — das mögen andere haben. Er hält sich an die Realität. Die Wirklichkeit ist der wunderbare Rohstoff seiner Arbeiten. Aus der dünnen Luft der äußeren, uns umgebenden und vor uns ablaufenden Wirklichkeit überträgt er alles, was ihn betrifft, in das dichte Reich seiner Rohrfeder und seines Pinsels. Aus dem Leben in die Kunst. Aus der Wirklichkeit in die Wirksamkeit.

Kurt Moldovan hat nichts mit Abstraktion zu tun. Der abstrakte Künstler schafft neue Wirklichkeit, der gegenständliche führt die bestehende Wirklichkeit auf ihr Maß zurück. Der abstrakte Künstler setzt eine Wahrheit, der gegenständliche sucht die Wahrheit. Moldovan ist gegenständlich; doch führt er immer Gegenständliches ins Zuständliche hinüber. Wahrheit ist ihm eine Frage der Intensität; nur diese gibt den Erscheinungen Realität.

Moldovan ergreift Dinge und Wesen nicht durch ihren Umriß, sondern er packt sie gleichsam in ihrem Herzen. Das aber macht er so sicher, daß wir wenig von seinem Griff, alles von der ergriffenen

Erscheinung sehen. Ein Hut, ein Stock, ein Mantel erscheinen, und schon ist ein älterer, höchst hren- werter Herr auf dem Blatt festgehalten — unversehens, wie er sich ahnungslos auf seinem Sonntagsspaziergang durch die Vorstadt befand. Dabei hat Moldovan vor dem Innenleben seiner Menschen größten Respekt und läßt es in Ruhe. Es genügt, wenn das Außen für das Innen spricht. Schon Hut, Stock und Mantel genügen. Wie immer, wenn der Rest Schweigen ist, wissen wir alles.

Moldovan macht den Abstrakten und den Anhängern der Abstraktion keine Freude. Immer ist das Thema in seinen Arbeiten anwesend und läßt sich nicht wegdenken: ob es nun das Motiv des Burgrings oder des Belvederes oder das Zusammentreffen von Rittern und Käfern, Lampen und Insekten ist.

Die Begegnung von Leben und Tod ist ein wiederkehrendes Thema Seiner Blätter. In allen ist etwas Aggressives. Kein Insekt ohne’ giftigen Stachel, keine Sonne, die nicht sengende Strahlen schleudert. Wir werden wenig Tiere in Moldovans Zeichnungen finden, die nicht attackieren. An vielen Stellen lauern Lanzen und Pieken, drohen Banderillos und Pfeile. Das Horn des Stiers wird zum tödlichen Säbel, die Helmspitze zur furchtbaren Waffe. Das Tötende hat am meisten Leben, denn das Tötende ist am sinnfälligsten, am sinnlichsten (im stärksten Wortsinn).

Kommt es zum Krieg, werden Lebewesen zu Insekten. Sie setzen Hornhaut und Schuppen an. Die „Panzerschlacht” wird zum erbitterten Ringen von Käfern, Schildkröten und Zwergechsen. Doch wohnt allen Insekten ein ritterlicher Zug inne. Ihr Kampf ist ein Weltkrieg, ausgefochten nach den Regeln mittelalterlicher Turniere.

Der Strich Moldovans ist hart, spröd, reißt immer wieder ab. Da sind Stellen, wo er ins Unsichtbare, taucht, dorthin, wo sich alles Sichtbare ständig erneuert, wie die Sehkraft des Auges bei Nacht.

Moldovan zieht die flüchtigen Erscheinungen zu festen, dauerhaften Gebilden zusammen, verdichtet sie zu einer geballten Ladung von Wirklichkeit, ordnet sie zu wirksamen Konstellationen. Moldovan ist ein Dichter.

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