6744728-1967_03_11.jpg
Digital In Arbeit

Wie lebt der Mensch?

Werbung
Werbung
Werbung

ANTIKE SZENEN. Von Kurt Moldova n. Ein Zyklus. 25 Tuschzeichnungen. Einführung von Bertrand Alfred E g g e r. Verlag für Jugend und Volk, Wien-München, 1966. 74 Seiten, Halbleinen. S 158.—.

; Gibt es in der Generation nach Kokoschka und Kubin österreichische Zeichner von Rang? Wir kennen die Namen Flora, Fronius, Ernst Fuchs, Lehmden, Absolon, Mikl — aber kennt sie die Welt? Auch Kurt Moldovan wird außerhalb der Grenzen seines Landes kaum genannt. Woran das liegt? Gewiß nicht nur an der Zurückgezogenheit, mit der dieser Wiener (geb. 1918) sich fernhält vom Ausstellungsbetrieb und es genug sein läßt mit der legendären Wertschätzung, die er in der Albertina und im Ferdinandeum, bei Würthle und bei Welz, im Cafe Hawelka und im Cafe Raimund genießt. Der österreichische Künstler ist wesenmäßig nicht darauf aus, formale Erfindungen und damit Kunstgeschichte zu machen. Die Nuancierung, Verfeinerung und Stilisierung lockt ihn mehr als die Suche nach neuen Medien und unbegangenen Wegen. Weder Kolumbus noch Cor-tez sind seine Ideale, sondern die Kolonisatoren, die den Konquistadoren gefolgt sind. So hat auch Moldo-van der Avantgarde wenig zu geben. Zur vollkommenen Abstraktion ist er nicht fähig, so verzweifelt er sich ihr — die Schrecken des Sichtbaren fliehend — zu nähern versucht. Was immer er zeichnet, er kann nicht lassen von seinem Thema. Dieses Thema heißt: wie lebt der Mensch? Wie kann er noch leben — und gar auf österreichische Art, also wohnlich — in einer Welt, die KZs und die Atombombe hervorgebracht hat, die hin und her taumelt zwischen Rassenkämpfen und Vietnamkrieg? Die Grausamkeit dieses Kampfes wird sichtbar nicht nur in Moldo-vans Blättern der Kriegs- und Zirkusserien, sie erscheint auch in den furchtbaren Spielen der Kinder, den Gesellschaftsspielen der Geschlechter, den bösen „Belustigungen Richard III.“ und den „Antiken Szenen“, die er 1961 für das Internationale Studentenhaus in Wien geschaffen hat, und die nun in hervorragenden Offsetreproduktionen zu einem Band vereinigt wurden. Moldövan beschönigt nichts an diesem Konflikt, aber er versucht ihm Regeln zu geben, Reglements für die menschliche Existenz und adäquate künstlerische Verhaltensweisen zu ersinnen, Bedrohung und Verantwortung manifest zu machen und Stellung zu nehmen. So erscheinen in den „Antiken Szenen“ Kentauren und Titanen, Harpyen und Bacchanten nicht um ihrer selbst willen, sondern zur Erhellung unserer eigenen Befindlichkeit. Im heutigen sieht Moldovan Historisches, im Antiken Aktuelles. Nicht nur thematisch überlagern und durchdringen einander Klassisches, Barockes, Modernes; Assoziationen an attische Vasenmalereien werden ebenso beschworen wie die Erinnerung an Ensors Masken, kubineske Dämonen oder Picassos Satyre. Das eine antwortet dem anderen, spiegelt es aus einer neuen Bewußtseinsposition. Das wird in dynamisch bewegter Handschrift mit Tuschpinsel und Rohrfeder in eher konzentriert-verspielten als nüchtern organisierten Blättern erfaßt, ist literarisch befrachtet und voll Gegenwart — eine urösterreichische Mischung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung