6656306-1959_31_11.jpg
Digital In Arbeit

Alberto Burri: Spieltrieb und Freiheit

Werbung
Werbung
Werbung

Zwischen den beiden Sälen der „Sezession" hängt ein Schild mit der großgemalten Bitte, die Besucher möchten die ausgestellten Bilder nicht berühren. Dieser Appell hilft wenig. Da es sich um Bilder Alberto Burris handelt, regt sich sofort die Neugier der Fingerspitzen. Man wartet ab, bis die beaufsichtigende Dame beschäftigt ist und streicht dann schnell über die rauhen, aufgeworfenen, verbeulten und scharfen Flächen Die Hände zucken auf das Material zu. Es bedeutet eine Minderung des Kunst- . genusses, durch angeordnete und übliche Sittsamkeit dazu verpflichtet zu sein, bloß mit den Augen zu sehen.

Das Berühren erst führt in die Stimmung, aus der diese Bildmontagen entstanden sind. Es erschließt den seltsam selbsttätigen, locker kontrollierten Spieltrieb der Finger des Künstlers, der Hölzer, Metalle und Gewebe nach Laune, doch stets unter dem Gesetz eines sehr geraden und dementsprechend rücksichtslosen Temperamentes, aneinanderbindet. Das Ueberraschendste ist die Einheit des Ueberraschen- den, das auf solche genau-beiläufige Weise entsteht — sowohl für den Blick, als auch für den Tastsinn. Niemals zeigt Burri das nackte Material, die Farbe selbst, den Sack, den Eisenteil oder das Holzstück (an diese Erfahrungen sind wir gewöhnt und würden von ihnen nicht stärker angesprochen werden, als von einem Schrotthaufen oder einem Holzlager). Blick und Hände werden vom Eingriff, von der Kombination erregt, die bezwingend eine ungehemmte Persönlichkeit offenbart und zugleich zum Nachvollziehen auffordert. Diese „gemachten“ Bilder wenden sich nicht an den rinnenden und ruhenden, sondern an den tätigen, den beschäftigten, seine Fähigkeiten anwendenden Menschen — damit weisen sie sich als charakteristische Kunst dieser tätigsten aller Zeiten aus, und zwar in dem Sinne, daß sie das herrschende Lebensgefühl, indem sie .es befriedigen, überwinden.

Es wird Befreiung vermittelt. Bezeichnenderweise gerade dann, wenn Burri sich der Fabrikate oder der Abfälle von Fabrikation bedient. Die Technik, als

Instrument des Homo - faber, das in neuer Perfektion den Urheber erdrückt (weil man nichts mehr unmittelbar gemacht wird, sondern das gemachte Mittel macht), ist hier plötzlich' ihrer Gefährlichkeit beraubt. Burri protestiert nicht gegen sie. Er hat es nicht nötig, mit ihr zu ringen und sie niederzuhalten, denn er respektiert sie nur als Materialzubringerin und ist weit davon entfernt, die technisch beschlossene und geschaffene Form als endgültig hinzunehmen.

Seine Montagen folgen scheinbar der Maxime der industriellen Nützlichkeit — nichts dürfe verlorengehen und schlechterdings alles sei Material (hierher gehört durchaus die teuflische Nützlichkeit der verseiften Menschenknochen) —, aber er hebt sie dadurch auf, daß er sie gegen das Industrieprodukt selbst wendet und aus dem Nützlichen das Zwecklose gewinnt. Solcherart stellt Burri die Ordnung wieder her und gibt ihr als Mitte wieder den schöpferischen Menschen. Freiheit und schrankenloses Verfügungsrecht wird mit solcher Unerbittlichkeit durchgesetzt, daß die Materialien sie oft nicht ertragen. Sie werden aus ihrer geprägten Zweckform geworfen, zerbrochen, zerfetzt, zerstört, bis sie gefügig werden.

So besehen, sind die „Combustioni“ Burris wahrhaftig mehr als kindliches Zündeln. Sie sind auch nicht blinde Zerstörungswut, die dem Material ja in der Zerstörung unterliegt, wenn sie unkontrolliert und nicht mehr der Folgen mächtig aus purer Brandlust vernichtet. Burri spielt mit dem Feuer, weil er es beherrscht. Er hat die „Katastrophen" des Papiers, der Lappen, der Kunststoffhaut genau in der Gewalt. Er setzt sie ein, soweit er ihrer bedarf, und unterbricht sie, wenn sie schädigen. Es braucht kaum des Hinweises auf das Spiel mit größeren und allgemeinen Katastrophen, das sich heute in der Welt begibt, um einzusehen, daß hier am Ueber- gang des Infantilismus der modernen Produktionsgesellschaften zu einem menschenwürdigen Humanismus experimentiert wird. Als Künstler braucht Burri eine Weltanschauung nicht zu postulieren — er vollzieht sie und sie teilt sich mit.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung