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Konterrevolution

19451960198020002020

DAS VERHÖR VON HABANA. Von Hans Magnus Enzensberger. Im Suhrkamp-V'erlag, Frankfurt am Maiin. 284 Seiten. DM 14.—.

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DAS VERHÖR VON HABANA. Von Hans Magnus Enzensberger. Im Suhrkamp-V'erlag, Frankfurt am Maiin. 284 Seiten. DM 14.—.

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Deutsches Nachspiel zur Landung der amerikanischen Söldnertruppe in der „Schweinebucht“ Fidel Castros am 15. April 1961: Von den Verhören, die in den Nächten nach ihrer Festnahme mit 41 Gefangenen im Theatersaal von Habana angestellt wurden, hat Hans Magnus Enzensberger zehn typische Fälle herausgegriffen. Die Arbeit des Schriftstellers bestand aus Auswahl und Vorwort, im Kontakt mit den vielen kubanischen Freunden und Institutionen, denen er für das schwer erreichbare Material dankt, und wahrscheinlich in der Übersetzung. Beabsichtigt wurde ein dokumentarisches Bild der kapitalistischen Konterrevolution, dem bereits die Regieanweisungen für Bühne und Funk beigegeben sind.Die Dramatik dieser Dialoge ergibt sich indes zuvorderst gar nicht aus der politischen, sondern aus der menschlichen Situation. Die Exilkubaner, die da unter Ausnützung ihrer mehr oder minder mißlichen Lage vom CIA angeheuert, ausgebildet, bezahlt und als Söldner wider die eigene Heimat geschickt wurden, sind im Grunde alle höchst erbärmliche Figuren. Ihr charakterliches Versagen, das in der extremen Situation zutage trat erschüttert viel mehr als die Methodik des imperialistischen Systems, das sie skrupellos für seine Absichten mißbrauchen wollte. Dieses System, so verab-scheuungswürdig es ist, scheint durchaus auswechselbar, und seine Methoden sind gar keine anderen wie die aller politischen Geheimdienste und Machtkonstellationen. Phantasten und Realisten, Leidenschaftliche und Berechnende, Mutige und Feige, Abenteurer und Karrieremacher, nicht zu vergessen religiöschristliche Schwärmer, offenbaren sich in den Verhördialogen. Das Tribunal ist dabei so phantastisch wie ausgeklügelt. Die Gefangenen werden vor den Kameras und Mikrophonen der Massenmedien von Journalisten befragt. Einige von ihnen sind Rechtsanwälte. Obwohl die Gefangenenshow kein ordentliches Verfahren ist, dürfte sie doch als Grundlage für ein Schnellgericht des revolutionären Gerichtshofes gedient haben, dessen Urteil dann auf 62 Millionen Dollar Geldstrafe lautete. Das Satyrspiel der amerikanischen Medikamentenlieferungen für diesen Betrag ist bekannt.

Über all dieser brutalen Wirklichkeit liegt ein seltsamer Schleier von Un-wirklichkeit. Die Wahrheit ist zu wahr, um wahr zu sein. Deswegen bestätigt sich hier die Synonymreihe Interview — Verhör — Gericht — Theater.

Enzensberger hat das Gültige daran mit geübtem Blick erkannt. Zu einer weiteren ideologischen Aufladung des Theaters dürfte es nicht reichen. Die menschliche Teilnahme ist zu stark.

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