Das Interview, das Teddy Podgorski der FURCHE gab, liegt schon ein paar Jahre zurück. Dennoch blieb in der Erinnerung hängen, dass der ORF-Altvordere darin auch kritisch angemerkt hatte, wie Fernsehen auch als "Aufhetzung“ funktioniert. Podgorski, damals Sportchef des ORF unter Gerd Bacher, rekurrierte auf Karl Schranz, dessen Olympiaausschluss 1972 halb Österreich auf die Straße brachte. O-Ton Podgorski: "Natürlich haben wir die Leute mit Meldungen ‚aufgehetzt‘- das war damals Chefsache! -, um mitzuteilen, wie schlecht unser österreichischer Karli Schranz behandelt wurde. Das hat die Leute auf die Barrikaden getrieben …“
Das alles ist 40 Jahre her, aber die von Podgorski im Nachhinein erschreckt wahrgenommene Manipulationskraft des Mediums ist nicht verschwunden. Vielleicht gibt man es heute viel billiger, aber zumindest zu einer Augenblicksaufregung können die Damen und Herren auf dem Küniglberg die öffentliche Meinung doch noch hinbewegen .
Heute gibt man es billiger
Anders ist es nicht zu verstehen, dass ORF und Print-Boulevard rund um Allerheiligen das Land von mit dem Rausschmiss und der Wiederaufnahme eines ver-haltensoriginellen B-Promis bei einer ORF-Show behelligten. Zyniker könnten da ja argumentieren, es sei gut, wenn sich öffentliche Emotion auf solch ein Stellvertreter-Krieglein zwischen einem Society-Reporter, der seinen Zenit schon hinter sich hat, und dem Rüpel-Rapper fokussiert. Der Public Value des ORF bestünde dann darin, dass die Anstalt alle möglichen unaufgearbeiteten Gefühle, die überall herumschwirren, auf einen (inszenierten?) Konflikt zwischen zwei Role Models lenkt. Immerhin hätte der die Aufregung begleitende und befördernde Print-Boulevard dann keine Veranlassung, auf andere populistische Themen zu setzen.
Wenn man die Verblendung solcher Argumentation weitertreibt, findet man in dem Ganzen eine mit maximalem Gestus vorgetragene Trivialisierung der großen Erzählungen der Menschheit wieder: Der ORF dachte sich nicht einmal etwas dabei, das Sido-Heinzl-Geplänkel in einem Club 2 intellektuell sezieren zu lassen. Aber die großen Themen - Konflikt, Gewalt, Kampf, Strafe, Schuld, Versöhnung: All das findet man hier doch jugendgerecht aufbereitet - oder?
Vor 150 Jahren arbeitete das Bildungsbürgertum solches an der Auseinandersetzung mit Raskolnikow und vergleichbaren literrarischen Figuren ab. Heute geht selbiges ins Kino und schaut sich Woody Allens "Match Point“ an, der die Dostojewski’schen Konflikte leicht konsumierbar auf die Leinwand bringt. Und weil es das Bildungsbürgertum somit schon viel billiger gibt, warum sollte man es einer bildungsbürgertumsfernen Jugend verdenken, sich ihr Lebenswissen bei der "Großen Chance“ zu holen?
Richtige Role Models suchen
Man darf nicht in die Falle solcher Argumentation tappen. Denn das würde implizieren, der TV-Anstalt einen pädagogischen Impetus zuzubilligen. Wir behaupten, dass Sidos Rückkehr in die "Große Chance“ allein der Quote geschuldet war. Das sollte nicht mit hehren Motiven verbrämt werden. Schließlich hätte dann sogar das auf einem Privatsender bald wieder zu sehende "Dschungelcamp“ erzieherische Wirkung, weil beim Verschlingen von Würmern die eigentlichen menschlichen Qualitäten der dort Teilnehmenden erst richtig auf dem Prüfstand stehen …
Es soll nicht bestritten werden, dass in der Gesellschaft Orientierung vonnöten ist und dass diese bei den Jungen auch und gerade über Role Models transportiert werden kann. Wenn also auf dem Küniglberg Hirnschmalz sichtbar darin investiert würde, Role Models zu entwickeln und zu engagieren, die ein dieser Zeit und Gesellschaft adäquates Lebenswissen vermitteln, wäre viel gewonnen.
Man wird disbezüglich ja noch hoffen dürfen.