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Die Bühne und der Böse

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Die letzte große Premiere des Burgtheaters hat uns eine problematische Neubearbeitung des problematischen Trauerspiels Shakespeares, seines „Othello“, beschert. Berthold Viertel mag dies selbst empfunden haben, da er in seinem klugen Vorwort, das dem Programmheft beigegeben ist, mit Recht sagt: „Die Bühne vermag diesen Reichtum (wir fügen ein: an Fragen und Fragwürdigem) immer nur in beschränktem Maße zu bergen. Sie unterliegt dem Zwang … aus dieser Fülle ein wirksames und auffaßbares Theaterstück zu schneiden, eine Handlung, die sich darstellen läßt; wobei das Gelingen zuerst und zuletzt von der Besetzung abhängt." — Ist dieser Schnitt gelungen? Wer den Schwierigkeiten einer Aufführung gerecht werden will, mag bedenken, wie sehr dieser „Othello" text- und stoffmäßig bereits von Shakespeare belastet ist. Wie viele Themen kreuzen sich, geben sich hier ein Stelldichein: Rassen und Klassen, urtümlich-barbarische Kultur und überfeinert-preziöse Zivilisation, Soziologie des Subalternen, Psychoanalyse, Kampf der Geschlechter… Wer ist dieser Othello? Ein Psychopath, ein Berberfürst mit der Inbrunst des Berbers Augustin, ein reiner Liebender oder ein Narr? — Diese und noch ganz andere Elemente brauen in seiner vulkanischen Natur, seine Bühnenfigur, an der sich aber das Publikum orientieren muß, wird durch Jago bestimmt: „Shakespeare hat in Jago eine großangelegte Konzeption des Bösen gestaltet“ (Viertel). Er ist der Versucher, „gleich dem Mephisto": der spiritus malignus, um mit Descartes zu sprechen, der abgründig böse Geist, der die Welt verwirrt, die Reinen schuldig werden läßt — und alle im Netz des Bösen verschlingt. Shakespeares Urthema, die Übermacht des Bösen, dem meist erst im Zerbrechen sich der Mensch entwinden kann, in Schuld und Sühne, hat hier eine Inkarnation gefunden, der nur eine theologische Konzeption Von der Denkmacht Calvins sich vergleichen mag. Der Pesthauch dieses Teufels vergiftet gerade die zartesten Blüten der Menschlichkeit, der Liebe, die erst im Untergang sich aus der Verstrickung zu lösen vermögen. Unerbittliche Schwermut Shakespeares, wie nahe steht sie der Schwere und Schwermut Michelangelos —

Werner Krauß, als Jago, ist ein burlesker Harlekin, ein komödiantischer Schuft, der seine Narrenstreiche wörtlich und bildhaft auf der Bühne aus dem Handgelenk meistert. Die Gimpel, die ihm auf dem Leim gehen, sind seiner Art gemäß. In Stöhnen, Brunst und Wutschaum geht Othello-Balser unter, er kann nicht anders, zu einer anderen Meisterung seiner Rolle läßt dieser Jago keinen Raum. Schade also um die bedeutenden Anstrengungen dieser Aufführung, die in Einzelzügen beachtliche Leistungen zeigt: so neben Balser, rührend schön, im Glanz einer spiritual verfeinerten Seelenkultur, die Desdemona der Hilde Mikulicz, neben ihr, sauber, einfach und klar, Erich Auer als Cassio. — Teo Otto als Bühnenbildner hat sich diesmal nicht überanstrengt, die Musik Friedrich Wildgans' läßt man kaum hörbar werden. Im ganzen: ein Experiment, das des Studiums wert ist.

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