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Elektronische Tauben

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Was dem Bundespolitiker die Besteuerung des Weihnachts- und Urlaubsgeldes ist, nämlich ein existenzgefährdendes Thema, das ist dem Kommunalpolitiker die Beseitigung von Hundekot und die Dezimierung der Tauben. Altbürgermeister Zilk auf der Höhe seiner Popularität und Selbstdarstellung konnte sich noch leisten, was in vorgezogenen Vorwahlzeiten für seinen Nachfolger ein selbstzerstörerisches Risiko wäre: laut vorzudemonstrieren, wie eine in anderen Großstädten bewährte mobile Hundkotbeseitigungsmaschine in Wien funktioniert hätte. Außer Belustigung ist davon nichts geblieben. Mit den Tauben legte sich der Stadtlautsprecher daraufhin lieber gar nicht an.

Zum Unterschied von ihrer religiösen Symbolik und ihrer traditionellen Friedensbotschaft sind nämlich die Stadttauben eher sehr triviale Geschöpfe, die ihre Zeit mit schmarotzendem Fressen und einer immensen Vermehrungslust hinbringen. Was die Abgaswolke an Simsen und Denkmälern an zerströrerischer Vorarbeit leistet, das vollenden die Tauben mit ihren Exkrementen. Und zum Dank dafür, daß wir ihnen die Demk-malbudgets in den Schnabel werfen, bringen sie uns auch noch etliche grausliche Krankheitserreger. Wir müssen unsere lieblichsten Fassadenheiligen vor ihnen hinter Gitter setzen - und mancher Engel erinnert hinter Drahtschlingen an ein KZ-Denkmal, welches offiziell aufzustellen die schwache Erinnerung sonst nicht wagte.

Eigentlich müßten die Taubenschäden ja über das Sozialbudget beseitigt werden. Denn es ist die ungeheure menschliche Einsamkeit und die soziale Hilflosigkeit, die in unseren Städten die Taubenfütterung zu einzigen Trost macht. Die alte Frau, die im

Park ihre Körner streuend mit ihren gurrenden Lieblingen spricht, hat vermutlich sonst keinen anderen Gesprächspartner. So wie der Pensionist, der seinen Pinscher um die Ecke Gassi führt. Die Tierliebe als versagte Nächstenliebe hat Dimension, von der die Leistungsgesellschaft nichts träumen läßt.

Taubenfütterung kann freilich auch Fremdenverkehrsattraktion sein. Man denke an das Urlaubsfoto vom Markusplatz in Venedig! Daß auf dem nämlichen Platz zu morgendlicher Stunde die städtischen Tauben-fänger unterwegs sind, die die Tiere in einen Gitterkäfig locken und dann in einer Weise entsorgen, von der nichts in den schönen Prospekten steht, das gehört zu den Geheimnissen der Serenissima. Doch nur so wird die Population des berühmten Platzes in Grenzen gehalten.

Doch welcher Stadtpolitiker in Österreich hielte solche Methoden aus, wenn ihm der investigative Journalismus auf die Schliche käme! Nicht einmal ein wohlgemeintes Fütterungsverbot läßt sich konsequent durchsetzen. Die Antikonzeptionspil-le war bisher bei Menschen wirksamer als bei Tauben.

Ob Wissenschaft, Denkmalschutz oder visionäre Utopie, der neueste Vorschlag zur Lösung des Problems

klingt vielversprechend. Es sollte in absehbarer Zeit möglich sein, die wirklichen Tauben ziemlich unauffällig durch virtuelle zu ersetzen. Ob das als Tauben konstruierte elektronisch gesteuerte Flugobjekte sein sollen, oder bloß an den frequentierten Plätzen aufgestellte Biesen-Bildschirme mit Tauben-Silhouetten, das steht noch dahin. Irgendwie hat das mit den künstlichen Tauben etwas Faszinierendes. Das elektronische Gegurre wäre eine neue Park-Melodie. Die Kosten der Geräte - vermutlich japanischer Provinienz - wären vermutlich geringer als die derzeit von den wirklichen Tauben verursachten Schäden.

Und wenn es nach diesem Beispiel dann auch virtuelle Hunde gäbe (Wau wau, der Elektro-Flockü), so wäre der städtischen Hygiene ein wesentlicher Fortschritt gelungen. Wozu denn sonst sollen alle diese Ifabos und Elektronik-Messen dienen, als uns die virtuelle Welt näherzubringen?

Mit Werbung ist doch alles möglich. Ein Viertel aller Stadtkinder hält längst die Kühe für lila. Also, wenn die erst Greise geworden sind, werden sie das virtuelle Vieh nicht mehr vom wirklichen unterscheiden. Auf diese Zukunft muß die Tauben-Politik ihre Hoffnung setzen.

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