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Meine Wiener Hochflieger

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(Urheberrechtlich geschützt)

Mein Vater war Bauer und ich wollte Musiker werden. Wir hatten einen kleineren, aber schönen Hof, auf dem es von Tieren aller Art nur so wimmelte. Starke Ochsen, pralle Kühe, gute Pferde und fette Schweine, das waren die Bürgen des Wohlstandes. Nebenbei gab es noch anderes Getier, das außer seiner Nützlichkeit mehr ein Sport meines Vaters war, wie Truthähne, Zuchtenten, Hühner verschiedenster Rassen, Schafe und Ziegen bestimmter Zuchtgattungen und endlich auch Tauben. Keine gewöhnlichen Tauben, auch keine Brieftauben, sondern die falkenhaften Wiener Hochflieger. Das sind Tauben, die pfeilgerade in die. Höhe schießen, oben wie Falken kreisen, um plötzlich in eine Richtung davonzustür-zen, als verpaßten sie irgendeinen Anschluß. Ich spreche von diesen edlen Tieren, weil ich es ihnen verdanke, daß ich ein Musiker wurde.

Bauer sein heißt sparsam sein. Mein Vater war sparsam, sehr sparsam, denn beim Bauern errechnet sich das Jahr aus Groschen, die ert, wenn sie mit ehernen Willen zusammengehalten werden, am Jahresende eine rechte Summe ergeben. Unterm Jahr war mit meinen Vater über Geld nicht zu reden. War das Jahr gut, dann wurden erst alle Auslagen für den Hof bestritten und dann wurde für uns eingekauft. Gar nicht knauserig. Alles, was wir brauchten, erhielten wir, Kleider, Schuhe, Wäsche, ein paar gute Bücher, unser Schulzeug und auch ein ganz schönes Taschengeld.

Hier aber machte mein Vater einen erzieherischen Fehler. Er wollte mich dazu erziehen, mit Geld umgehen zu lernen, es gut einzuteilen. Es sollte für ein Jahr reichen, dazwischen gab es nichts als gute Worte. Meine Brüder konnten das, ich nicht. Ich war anders geartet als sie. Sie standen morgens leicht auf, mir fiel es sehr schwer. Sie scheuten nicht Wind und Wetter, ich liebte nur die Sonne und den Mond. Sie stemmten sich mit Ernst hinter den Pflug, ich träumte den fliehenden Wolken nach. In mir brauste der Choral der Natur oder es klang eine feine, zarte Melodie, je nachdem ein Sturm tobte oder ich im Grase liegend dem Schmetterling zusah, der seinen Durst an einer holden Blüte stillte.

Die Schuld an meiner unbäuerlichen Wesensart hatte unsere Dorforgel. Meine Mut-

ter, die vielleicht, weil ich der schwächste unter ihren Söhnen, aber recht aufgeweckt war, mich besonders liebte, nahm mich gern in die Kirche mit. Unsere Kirche war sehr schön, mit großem feierlichen Aufwand wurde das Hochamt gefeiert. Viel Weihrauch und viel Licht füllte den Raum, aber auch viel Musik. Der Organist war ein Unikum. Er liebte • nur Sebastian Bach und Süßigkeiten. Das hatte ich bald heraus. Erst brachte ich ihm Zuckerkrapfen, die ich mit Wehmut dem eigenen Gaumen entzogen hatte. Aber dafür durfte ich den Blasebalg treten und war so ganz in der Nähe des Orgelspielers, wenn er, tief versunken, himmlische Kantilenen oder brausende Akkorde zum lieben Gott hinauf- und auf seine Gemeinde hinunterschwellen ließ.

Leider vergaß ich oft an besonders feierlichen Momenten das Treten, so daß der Orgel mit einem krächzenden Seufzer die Luft wegblieb und ein lähmendes Schweigen entstand. Mir stockte das Herz und hastig versuchte ich das Versäumte nachzuholen. Statt daß die Orgel aber dort einsetzte, wo sie aufgehört hatte, jodelte sie sich erst ein und hustete wie ein Asthmatiker. Blicke können töten, aber ich starb einen tausendfachen Tod der Scham. Das Unikum fauchte wie ein ausgehungerter Tiger.

Mein Taschengeld reichte auf die Dauer nicht aus, um den erzürnten Herrgottspieler mit Süßigkeiten, die mich ein doppeltes Opfer kosteten, zu besänftigen, und so sann ich nach neuen Methoden, um meinen nunmehr unabänderlichen Entschluß Musiker zu werden, in die Tat umzusetzen. Ich steckte mich hinter die Mutter, die längst meine innersten Wünsche kannte, um den Vater zu bewegen, mich in die Stadt zu schicken. Und nun machte mein Vater wieder einen erzieherischen Fehler. Er, der das Musiker-leben als ein unnützes Zigeunerleben ansah, denn von Musik verstand er nichts, und natürlich niemals daran dachte, mich einen solchen Flausenberuf erlernen zu lassen, meinte nur, wenn ich selbst das Geld dazu aufbrächte, ;köhnte ich es ja einmal probieren. Das war seinerseits nicht undiplomatisch, meinerseits aber wurde dadurch der Ehrgeiz geweckt. Geld mußte her und nicht lange durfte überlegt werden, denn es war Frühjahr und im Herbst begann auf dem Konservatorium das neue Schuljahr.

Wir Brüder hatten alle vom Vater für unsere Mitarbeit junge Tiere geschenkt erhalten, die wir selbst aufziehen mußten. Während meine Brüder es natürlich auf große Tiere abgesehen hatten, junge Pferde, Kälber, bevorzugte ich kleinere, wie Lämmchen und — die Tauben. Da ich nun an den Verkauf gehen mußte, war ich hinsichtlich der Einkünfte im Nachteil, denn es brachten meine kleinen Dinger wenig ein und waren dazu noch schwer loszuschlagen.

Es war tief im Frieden. Zweimal im Monat war Markt in dem größeren Ort in der Nachbarschaft, und so wanderte ich eines Sonntags mit einer Steige Tauben lös. Ich stellte mich an der belebtesten Stelle auf und wartete auf den Käufer. Rings um mich blühte der Handel, aber meine Tauben gurrten vergnügt und unbeachtet im Käfig.

Verdrossen setzte ich mich auf den Boden und wollte bald nach Hause. Da klopfte mir ein verschmitzter Herr auf die Schulter und sagte: „Na, Kleiner, kein Geschäft heute, was? Was sollen denn die Spatzen kosten“. Zwölf waren es, also verlangte ich fünfzehn Gulden, um von diesem Preise etwas nachlassen zu können. Der Herr aber lachte' aus vollem Hake über meine Tüchtigkeit und sagte, ich könnte froh sein, wenn er mir fünf Gulden gäbe. Das empörte mich nicht wenig und ich erklärte, dann wollte ich lieber mit den Tauben nach.Hause gehen. Er ließ mich stehen und im Weggehen mernte er: „Na, acht Gulden könnte man vielleicht riskieren, mehr nicht“. Acht Gulden haben oder nicht, wenn das Schuljahr vor der Türe steht, so rannte ich ihm nach und übergab ihm die Tauben. Glück wünschte ich ihm keines und verstimmt machte ich mich auf den Heimweg, denn nun galt es auch die drei Schäfchen zu verkaufen, die mein eigen waren.'

Als ich den Hof betrat, warf ich einen traurigen Blick auf den halbleeren Taubenschlag und ging ins Haus. Spät am Nachmittag machte ich mich auf den Weg zur Kirche in die Maiandacht, um die Qrgcl zu bedienen. Als ich am Taubenschlag vorbeikam, traute ich meinen Augen nicht. Da saßen friedlich gurrend meine zwölf Tauben! Jetzt ging bei mir ein Lrcht auf. Ich hatte ja die „Wiener Hochflieger“ verkauft. Die schießen pfeilgerade in die Höhe, kreisen wie Falken und stürzen davon als ob sie einen Anschluß verpaßten — nämlich in Richtung Heimat. Schadenfreude soll die reinste Freude sein und ich gönnte dem Manne, der mir einen schlechten Preis abgenötigt hatte, seine Enttäuschung. Aber in mir entstand außerdem ein arger Plan.

Zum nächsten Markttage machte ich midi mit den zwölf Tauben wieder auf den Weg und hatte sie diesmal bald für zwölf Gulden verkauft. Ich kehrte, vor mich hinträllernd, heim und in drei Stunden waren meine Täubchen wieder i da. Nachdem ich dieses Eßlein-streck-dich-Patent fünfmal ausprobiert hatte und meine Kasse vollgepfropft war, kamen die Gewissensbisse. Ich getraute mich nicht mehr vors Haus, denn bald mußte die Gendarmerie kommen und mich suchen. Als ich es nicht mehr aushielt, rannte ich in den Ort und meldete dort, wenn jemand nach mir frage, so möge man denjenigen auf den Hof schicken, er bekäme Geld von mir. Der Herr Wachtmeister war ehr erstaunt, meinte aber wohl, ich hätte einen leichten Klaps.

Niemand kam jemals das Geld zurückzuverlangen und ich nahm fest an, daß mir der liebe Gott Hilfe geschickt habe. Und so wurde ich Musiker und auch mein Vater hatte nichts mehr dagegen, daß sein Sohn aus eigenem Willen Hoforganist geworden ist

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