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Die Flak neben dem Kloster

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Wanderer, kommst du nach Samos, wundere dich nicht, wenn du unter einem Grasdach versinkst oder auf Feldbetten und über Funkgeräte fällst. Nichtsahnende Besucher, die über das Ruinenfeld des von deutschen Archäologen freigelegten Hera-Tempels streifen, stehen plötzlich vor unauffällig getarnten Erdlöchern. Griechische Soldaten haben sich hier eingegraben, ihre Aushebungen sind so alt wie die letzte Zypernkrise.

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Wanderer, kommst du nach Samos, wundere dich nicht, wenn du unter einem Grasdach versinkst oder auf Feldbetten und über Funkgeräte fällst. Nichtsahnende Besucher, die über das Ruinenfeld des von deutschen Archäologen freigelegten Hera-Tempels streifen, stehen plötzlich vor unauffällig getarnten Erdlöchern. Griechische Soldaten haben sich hier eingegraben, ihre Aushebungen sind so alt wie die letzte Zypernkrise.

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Hie und da langweilt sich ein Posten, manchmal erschallt Popmusik aus den Löchern und Gräben. Ein paar hundert Meter weiter liegt die Betonpiste des Flughafens von Samos, und dahinter erhebt sich, nur durch einen schmalen Meeresteil von der Insel getrennt, das Festland der Türkei.

Seit der türkischen Invasion auf Zypern stehen die griechischen

Truppen in Alarmbereitschaft, vor allem auf Samos, Chios und Lesbos, jenen ägäischen Inseln, die der kleinasiatischen Küste am nächsten liegen. Hier und oben in Thrazien, so scheint die griechische Generalität zu denken, würden die Türken im Kriegsfall ihren ersten Schlag gegen Hellas führen. Zwischen Edirne und Samos stehen sich die feindlichen NATO-Brüder in einem Abstand

von zwei bis zwanzig Kilometern gegenüber. Der eine unterstellt dem anderen Angriffsabsichten.

Die Gemüter erhitzen sich nicht allein am Zypernkonflikt, sondern auch an den Erdölschätzen, die' in der Ägäis vermutet werden. Nahe der Insel Thasos Sind schon seit einiger Zeit Bohrungen im Gange. Auch bei Lesbos und Samos wurden Ölvorkommen festgestellt.

Der weitaus größte Teil dieser Vorkommen, so kalkuliert man in

Athen, liegt- im griechischen Hoheitsbereich. In Ankara jedoch sieht man die Ägäis nicht als ein griechisches Meer an, Die Griechen reagierten aufgebracht, als türkische Forschungsschiffe westlich von Samos und Lesbos ölsondierungen vornahmen. Die Türken vertreten den Standpunkt, die Ausbeutung der Meeresschätze sollen nach internationalen Normen erfolgen. Von den Festlandssockeln ausgehend, müsse in der Ägäis eine Mittellinie festgelegt werden. Nach türkischer Auffassung können Inseln wie Lesbos und Samos nicht als Festland gelten:

Im Auslegungsstreit um den Festlandssockel Griechenlands wollen Türken und Griechen den Haager Gerichtshof um einen Schiedsspruch ersuchen. Momentan ist ihnen nur der Zorn auf die Amerikaner gemeinsam. Die türkische Invasion auf Zypern sei von den Vereinigten Staaten unterstützt worden, behaupten viele Griechen, während unter Türken die Meinung vorherrscht, die Türkei sei in der Zypemfrage von den Amerikanern im Stich gelassen worden.

Während der türkisch-griechische Streit die Südostflanke des westlichen Verteidigungsbündnisses schwächt, während Athen und Ankara ihre Mitarbeit in der NATO einschränken, wird der Besucher auf den ägäischen Inseln immer wieder

auf seltsame Weise an den Konflikt erinnert. Wären doch alle Straßen Griechenlands so gut, denkt man, wenn man auf betonierten Höhenstraßen zum Kloster Zoodoohos Pigis auf Samos und zum Kloster Ypsilou auf Lesbos fährt. Oben angekommen, erblickt man neben den Klöstern eine Radarstation und Flakgeschütze. Verteidigungsanlagen findet man auch auf den Hügeln und am Strand des antiken Eresos, wo angeblich die Dichterin Sappho mit ■ihren Gespielinnen weilte. Der Weg zum lesbischen Olymp über die neuangelegte Serpentinenstraße ist für Touristen gesperrt. An vielen Stellen

auf den Inseln weisen gelbe Schilder auf das Photographierverbot hin.

Auf türkischer Seite ist von militärischer Aktivität weniger zu spüren. Dort können Touristen, die von Samos zu einem Tagesausflug nach Kuschadasi und Ephesos kommen, Ansichtskarten von der Landung türkischer Truppen auf Zypern kaufen. In Izmir und Pergamon kann man Wagenaufkleber kaufen, die Zypern unter türkischer Flagge darstellen. Und man kann von Türken erfahren, daß die griechischen Truppen auf den gegenüberliegenden Inseln als Provokation empfunden werden. Denn Samos, Ohios und Lesbos seien in den Lau-sanner Verträgen von 1923 zu entmilitarisierten Territorien erklärt worden, ebenso wie die Meerengen des Dodekanes nach dem Zweiten Weltkrieg. Danach sei nur die Stationierung von Polizeieinheiten erlaubt; die Inseln dürften nicht befestigt werden.

Die Verträge, so kontern griechische Soldaten auf Lesbos und Samos, seien seit der Türkeninvasion auf Zypern null und nichtig. Ob jemand ernsthaft glaube, Griechenland werde die Türkei angreifen? Dagegen suche die Türkei kriegerische Auseinandersetzungen, um das türkische Volk von der innenpolitischen Misere abzulenken.

Wie dem auch sei — festzustellen bleibt, daß ein Krieg sowohl die Türkei wie Griechenland um viele Jahre zurückwerfen würde. Beide Länder haben mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, hüben wie drüben stehen die Sozialaufwendungen weit hinter den militärischen Ausgaben zurück. In beiden Ländern murren die Rekruten über die unverhältnismäßig lange Wehrdienstzeit, die ihnen einen lächerlich niedrigen Sold und viel Langeweile beschert. Doch auf beiden Seiten herrscht auch ein stark ausgeprägter Nationalismus, findet man in extremen Fällen einen bedenklichen Chauvinismus.

Dabei ist zu berücksichtigen, daß sich Inseln wie Samos, Chios und Lesbos erst im Jahre 1912 endgültig von mehrhundertjähriger Türkenherrschaft befreien konnten. Zehn Jahre später wurden die Griechen aus Kleinasien vertrieben. Auf beiden Seiten blieben bittere Erinnerungen, Ressentiments und Revanchegefühle zurück.

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