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Ein Exempel?

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Amerika ist entschlossen und offensichtlich auch tatsächlich im Begriff, an seiner inoffiziellen Hauptstadt New York ein schreckliches Exempel zu statuieren: Denn der Konkurs der Stadt, kein politischer sondern ein sehr handfester finanzieller, von dem man seit vielen Monaten spricht, rückt offensichtlich unaufhaltsam näher. Präsident Ford hat bislang zwar kaum Proben besonderen politischen Weitblickes gegeben, aber er weiß — weil er ja von dort kommt — genau, was der kleine Mann im Mittleren Westen denkt. Der biedere Mann im Mittleren Westen denkt, daß es New York schon recht geschieht, weil New York zu viel Geld in Hilfsprogramme für arme kinderreiche Farbige investiert und weil New York völlig unnötigerweise wenigstens auf ein Minimum an Schulbildung für seine Unterschicht Wert legt' und weil New York mit solchen Maßnahmen die Weißen vertreibt und weil New York eben überhaupt ein Sündenbabel ist.

Ford erklärte und wußte sich mit einem großen Teil der Nation, näm-lieh mit ihrer schweigenden Mehrheit, einig: „Wer über seine Verhältnisse lebt, muß früher oder später die Konsequenzen ziehen.“

Was nicht nur angesichts des bevorstehenden Konkurses der größten Stadtverwaltung auf Erden interessant erscheint, sondern auch, und vielleicht noch mehr, als Symptom für einen geistigen Zustand. Nämlich den Amerikas, das keineswegs, wie jenseits des großen Teiches manche Leute glauben, eine Urbane Geisteshaltung entwickelt hat. Die USA sind, in einem erstaunlichen Ausmaß, zumindest in ihren Wertvorstellungen und Leitbildern, eine Agrar-gesellschaft geblieben, die der Großstadt zutiefst mißtraut.

Der Krise New Yorks gegenüber reagiert Amerika und reagiert vor allem sein Präsident emotionell und provinziell, statt intellektuell, welch letzteres ja zu der Erkenntnis führen müßte, daß New York nicht über seine Verhältnisse lebt, wenn es durch den Abzug weißer Steuerzahler in immer reicher werdende Vorstädte und den Zuzug unterstützungsbedürftiger Minderheiten in eine unverschuldete Notlage gerät, die von der Nation als Herausforderung verstanden werden müßte.

Düsterster Aspekt solcher Fehlhaltung ist die Frage, die sich daraus folgerichtig ableitet, nämlich, ob die „Führungsmacht“ Amerikas überhaupt noch in der Lage ist, Herausforderungen zu begreifen und darauf rational zu reagieren.

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