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Ein Glücksritter, kein Revolutionär

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Salzburg erlebte „Die Hochzeit des Figaro” ohne Mozarts Musik. Johannes S c h a a f inszenierte das Werk, das Mozart als Vorlage diente, im Landestheater als Festwochen Sprechstück. Vor wenigen Jahren sah man es im Wiener Volkstheater - da wurde der Graf Almaviva am Ende von Figaro mit der Reitpeitsche erdrosselt und schrie „Mord! Totschlag! Revolution!”

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Salzburg erlebte „Die Hochzeit des Figaro” ohne Mozarts Musik. Johannes S c h a a f inszenierte das Werk, das Mozart als Vorlage diente, im Landestheater als Festwochen Sprechstück. Vor wenigen Jahren sah man es im Wiener Volkstheater - da wurde der Graf Almaviva am Ende von Figaro mit der Reitpeitsche erdrosselt und schrie „Mord! Totschlag! Revolution!”

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Bloß war Turrinis Version des Lustspieles „Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit” so wenig von Beaumarchais wie die von Turrini bearbeitete „Wirtin” von Goldoni. Johannes Schaaf inszenierte hingegen in Salzburg - abgesehen von wenigen leicht erkennbaren Sätzen - genau das, was Beaumarchais geschrieben hat. Wer sich vom Salzburger „Tollen Tag” revolutionäre Pflichtübungen erwartete, mußte, demnach enttäuscht werden.

Dafür bietet diese Inszenierung die Möglichkeit, zu überprüfen, ob „Der tolle Tag” mit Recht als revolutionäres Stück gilt, oder ob es sich da um ein Mißverständnis handelt.

Beaumarchais war ein altet Mann, als die Revolution ausbrach. Aber er hat auch wenig getan, sie herbeizuführen. Der Vater zwang ihn, Uhrmacher zu werden-mit 21 Jahren erfand er die Hemmung, die es heute noch in jeder Uhr gibt. Er heiratete eine Adelige und nannte sich nach deren Tod nach einem ihrer Güter Beaumarchais. Er ergriff jede Gelegenheit beim Schopf, verschaffte sich Gönner, wo er sie fand. Am Hof, in Finanzkreisen. Und machte sich immer wieder durch seine scharfe Zunge alles kaputt. Er machte Millionengeschäfte und saß im Gefängnis. Er reiste als Geheimagent und als Emigrant. Er machte Geschäfte mit Waffen und Sklaven, und den Prozeß um die Bezahlung einer Waffenlieferung, die der amerikanische Kongreß als Geschenk gewertet sehen wollte, gewannen erst seine Erben. Er war vielleicht Revolutionär - aber dann einer vom Schlage eines Voltaire.

Beaumarchais war tatsächlich gefährlich. Der König hatte recht, als er zu Marie Antoinette sagte, dieser Kerl mache sich über alles lustig, was - in des Königs Augen - „in einem Staat der Achtung bedarf. „Der tolle Tag” enthält harte Sätze gegen die Vorrechte des Adels, es zeigt einen Richter, der liebedienerisch die Urteile fallt, die die Herrschaft will, und auf den Vorwurf „In diesem Haus brauchen die Domestiken mehr Zeit zum Ankleiden als die Herrschaft” bekommt der Graf zur Antwort: „Weil sie keine Diener haben, die ihnen dabei helfen!”

Ein großartiges Stück. Und großartig inszeniert. Die Übersetzung hat Johannes Schaaf gemeinsam mit Hans Joachim Pauli geschrieben, sie ist knapper, aktueller, besser als die gängigen. Es ist zum Beispiel völlig legitim, wenn er die „Natur des Reichtums” durch die des Kapitals ersetzt. Johannes Schaaf verzichtet darauf, eigenen revolutionären Senf dazuzugeben. Das ist ein Glück, denn es ist nun einmal kein revolutionäres Stück. Auch wenn Napoleon gesagt hat, er sehe darin „die Revolution am Werk”.

Das ist sie sogar tatsächlich, und trotzdem ist es kein revolutionäres Stück. Denn die französische Revolution war das Produkt sozialer Verhältnisse, die Beaumarchais vor allem darstellt und in erster Linie dadurch, espressis verbis aber nur mit wenigen Sätzen kritisiert. Ludwig XVI. war gescheit genug, die Gefährlichkeit dieses Autors zu erkennen, aber nicht weitsichtig genug, systemimmanente Kritik - wie man heute sagen würde - zu berücksichtigen und durch Reformen der Revolution vorzubeugen. Genau dies wäre wahrscheinlich im Sinne Beaumarchais’ gewesen - und darum war er kein revolutionärer Autor.

Johannes Schaaf gibt nichts dazu, was Beaumarchais noch nicht wissen konnte, als er dieses Stück schrieb. An seiner Inszenierung ist vieles bewundernswert. Die Fülle der optischen Einfälle, die Ausstattung (Bühnenbüd: Wilfried Minks, Kostüme: Peter Pabst), die auf einem einfachen klaren Konzept beruht, aber die Schaulust voll auf ihre Rechnung kommen läßt, nicht zuletzt die Führung der Schauspieler; Schaaf versteht auch schwächere Kräfte so einzusetzen, daß sie sich nahtlos einfügen, läßt sie genau das machen, was sie können. Gäbe es einen Preis für die beste Ensemble- Teamarbeit der Saison, hätte diese Produktion ein Recht darauf.

Man unterhält sich, es gibt kaum Längen, und man lernt noch besser zu verstehen, was zur französischen Revolution führte. Gewiß könnte ein anderer Hauptdarsteller als Klaus Maria Brandauer dem Figaro schärfere, bösere Untertöne geben. Aber wäre Schaaf Beaumarchais gerecht geworden; wenn er ihn so in Nestroy-Nähe gerückt hätte? Ich meine, daß Brandauer hier wirklich am Platz ist, er hat die Leichtigkeit für den Figaro, mit dem sich Beaumarchais identifizierte (der Name Figaro dürfte ein Anagramm des Verfassers sein!), ist eben kein Revolutionär und auch kein Revoluzzer, sondern ein Glücksritter mit frecher Zunge und Erfolg bei den Frauen, dessen bester Bundesgenosse der Zufall ist und der die Verhältnisse durchschaut, aber noch nicht daran denkt, sie grundlegend zu verändern.

Ivan Dravas spielt den Grafen vielleicht etwas zu bieder, Heribert Sasse den Dorfrichter etwas zu outriert (obwohl er im Original außerdem noch stottert, was ihm hier erspart bleibt), sehr stark Rosemarie Fendel, die in ihrer nicht sehr dankbaren Rolle Gudrun Gabriel und Heidelinde Weis fast an die Wand spielt, eindrucksvoll Ludwig Hirsch, Santiago Ziesmer, Hubert Kronlachnef, Heinrich Schweiger. Mein einziger Einwand betrifft das optische Konzept der Gerichtsszene - die zerflattert, statt Tribunal-Assoziationen auszulösen.

Natürlich hätte man den Figaro mit revolutionärem Elan und den Grafen mit mehr Erbärmlichkeit ausstatten und dem ganzen einen klassenkämpferischen Unterton geben können. Aber wäre eine Inszenierung, die auf die Unterdrücker von vorgestern schärfer hinhaut als der Autor der schärfsten vor ihrer Entmachtung und Massenexekütion geschriebenen Satire - heute revolutionär? Um heute revolutionär zu sein, dazu gehört mehr als der Mut, auf die Pappkameraden aus dem Geschichtsbuch zu schießen.

Wenn „Der tolle Tag” von Beaumarchais heute noch provozieren kann, dann, bittesehr, doch wohl vor allem zu der Frage, warum in dieser Zeit, in der wir leben, niemand Stücke schreibt, in denen mit den Popanzen und Po- panzln der Gesellschaft, in der wir leben, so unsanft verfahren wird wie von

Beaumarchais mit den Popanzen seiner Zeit. Gibt es denn keine mehr? Haben die Autoren unserer Zeit nicht gelernt, von der Freiheit, die sie haben, Gebrauch zu machen? Oder dürfen sie nicht?

Eine pseudorevolutionäre Beaumarchais-Inszenierung wäre kein Ersatz für Stücke, die Minister, Abgeordneten und sonstige Akteure der Gegenwart so zerzausen wie Beaumarchais die Mächtigen seiner Zeit. Schattenboxen gegen den Staub in den Grüften ist kein Alibi für die Impotenz der Gegenwart. Darum gefällt mir „Der tolle Tag” in der Inszenierung von Hans Schaaf, vor allem, was sonst für sie spricht, durch ihre Ehrlichkeit.

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