Zeitgeist und Aura: Zum wiedereröffneten Wien Museum

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Über Euphorie und Kritik zum nach fünf Jahren neu eröffneten Wien Museum.

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Über Euphorie und Kritik zum nach fünf Jahren neu eröffneten Wien Museum.

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Ich weiß nicht, liegt es am Wiener Hang zur Mieselsucht – aber so manche einheimische Pressestimme klang sehr verhalten, als das Wien Museum nach fast fünf Jahren und 108 verbauten Millionen in neuer Pracht seine Pforten öffnete. Ich finde das Ergebnis großartig, die Architektur einladend, die Dauerausstellung klug und originell komponiert und keineswegs überfüllt: Man muss ja nicht gleich alles anschauen.

Diesen Beifall für das große Ganze vorausgesetzt, darf man aber auch ein paar Dinge kritisieren. Zum Beispiel, dass die Wiener Literatur zu kurz kommt im Panorama der Kulturgeschichte. Und dass einer forciert zeitgeistigen Interpretation da und dort Plausibilität und Informationswert geopfert werden. So wurde das berühmte historische Grillparzer-Zimmer aus der Wohnung der Schwestern Fröhlich amputiert: Das Kabinett mit der Bibliothek fehlt, dafür sollen 1,4 m² Schlafraum des (ihres?) Dienstmädchens Klassenunterschiede vermitteln. Von der umstürzlerischen Idee, das Interieur auf den Kopf zu stellen, hat man sich immerhin verabschiedet, die unmodern gewordene Aura des Originals bleibt wirksam. Doch das Zimmer steht, losgelöst von seinem Herrn, vor allem für Biedermeierwohnlichkeit. Von Grillparzer, der einem jungen Publikum heute erklärt werden müsste, erfährt man nichts, außer dass er in der NS-Zeit als „großdeutscher Dichter“ gefeiert worden sei; dabei hatten die Nazis mit dem kritischen Österreich-Patrioten ihre liebe Not.

Nestroy ist angemessen auch mit Zitaten vertreten, von Peter Altenberg bleibt seine Neigung zu Minderjährigen. Dass weibliche Denkmäler nur für Vertreterinnen der darstellenden Kunst errichtet wurden, wird in der (so hoffentlich nicht ewig dauernden) Dauerausstellung kritisch vermerkt und – reproduziert: Marie von Ebner-Eschenbach findet man hier nicht einmal mit einem ihrer zukunftsweisenden Aphorismen gewürdigt.

Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin.

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