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Freiraum zum Atmen

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Wenn der bekannteste Befreiungstheologe sein Priesteramt niederlegen will, stehen der katholischen Kirche unruhige Zeiten bevor.

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Wenn der bekannteste Befreiungstheologe sein Priesteramt niederlegen will, stehen der katholischen Kirche unruhige Zeiten bevor.

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„Der Fall Boff (ein Buch) schilderte ausführlich die Leiden des wohl bekanntesten Theologen der Befreiung. Die Herausgeber, die brasilianische Bewegung für Menschenrechte, hielten damals (1985) diesen Fall für abgeschlossen.

Doch vor einigen Monaten ließen Meldungen aufhorchen. Leonardo Boff gebe auf, hieß es. Mitte März klagte Boff in einem Brief, daß er selbst nicht mehr genau wisse, ob es ihm gut oder schlecht gehe. „Neulich, ohne irgendeinen Grund, wurde mir das imprimi potest für jeden Artikel verlangt, den ich verfasse." Er vermutet: „Der neue Direktor von ,Vozes' (ein Deutscher) meint damit, die konservativen Bischöfe zu beruhigen. Aber er sieht nicht, um welchen persönlichen Preis meinerseits."

Der „Fall Boff hat nun eine Wende genommen, die traurig macht. Zuerst hat Boff „wegen Krankheit" alle für Juli geplanten Veranstaltungen in Österreich abgesagt. Dann kam am 29. Juni ein Brief an alle seine Freunde mit der Mitteilung, daß er den Franziskanerorden verlasse und um Versetzung in den Laienstand ansuche.

Wir sind als Menschen und Christen gehalten, diese Entscheidung des Gewissens zu respektieren. Menschlich ist der Schritt von Leonardo Boff leicht zu verstehen: Zuerst wird er verfolgt, verdächtigt, mit einem „Schweigejahr" bestraft, dann wird er seiner Ämter enthoben, als Direktor von ,Vozes' abgesetzt, sogar vom Aufsichtsrat wird er entfernt, verliert seinen Lehrstuhl, wird zu einem Sabbatjahr gedrängt, muß alle Bücher, Artikel, Vorträge, Einladungen et cetera einer doppelten Zensur (vom Orden und vom Bischof) unterwerfen.

Boff hat des öfteren bedauert, daß er mehr Zeit aufwenden muß, um sich zu verteidigen als für die eigentliche Arbeit. Wer seine ganze Energie in aussichtslose und nie endende Streitigkeiten investieren muß, kann an die Grenzen seiner Kräfte gelangen. Als einziger Ausweg bleibt der, welchen Boff nun gewählt hat.

Um es klarzustellen: Boff hat die Strukturen verlassen, nicht aber die Kirche. Er erhofft sich außerhab einen Freiraum zum Atmen. Nur wer die Strukturen mit der Kirche selbst verwechselt, kann so darüber urteilen, wie es nach Meldungen Kardinal Angelo Sodano in Sevilla getan hat. Der Kardinal soll betont haben, daß es unter vielen getreuen Aposteln immer einen gäbe, der den Herrn verlasse. Falsch: Boff hat den Herrn nicht verlassen, er hat sich lediglich den gestrengen Herren entzogen. Das gilt auch von vielen der 1.000 Priester, welche laut Kardinal Sodano jährlich das priesterliche Amt aufgeben.

Inbegriff der Arglosigkeit

Mir fiel, als ich vor wenigen Tagen das Abschiedsschreiben von Leonardo Boff in Händen hielt, Teilhard de Chardin ein. Hätte nicht auch Leonardo so standhaft bleiben können? Hätte er sich nicht an den Rat Karl Rahners halten können, sich wegen einiger Herren nicht die Freude am Glauben verderben zu lassen? Dann sehe ich aber Leonardo Boff vor mir. Er ist für mich der Inbegriff der Wehr- und auch Arglosigkeit. Sein Ordensvater kann mit diesem Franziskaner aus Leib und Seele seine Freude haben. Wenn solchen Menschen die Luft so abgeschnürt wird, wie es Boff schildert, dann sind an seine Verfolger und Widersacher die Fragen zu richten, welche nun viele Menschen Boff stellen.

Der Präsident der Brasilianischen Bischofskonferenz hat sicher recht, wenn er meint, daß der Schritt von Leonardo Boff der Theologie der Befreiung und den Basisgemeinden kaum schaden werde. Die brasilianischen Christen sind Kummer gewohnt und wissen damit zu leben. Schwieriger wird es für die Kirche in Europa. Die Christen sind so srrukturfixiert, daß der „Fall Boff unser,.Fall" werden könnte. Anzeichen einer zunehmenden Kirchenmüdigkeit gibt es zur Genüge.

Der „Fall Boff könnte letztendlich sogar Gutes bewirken: Bei den Christen, damit sie auftreten und nicht austreten. Bei den Verantwortlichen der Kirche, daß sie sich fragen, mit welchem Recht sie so vielen Menschen die Freude am Glauben rauben.

Positiv: Wenn das Schreiben von Leonardo Boff in Rom bearbeitet wird, sollte die Leitung der Kirche ein Zeichen setzen und den verletzten und müden Bruder Leonardo ermutigen, weiterzumachen, ohne Zensur und Angst und Drohungen...

Der Autor ist Generalsekretär der Päpstlichen Missionswerke in Österreich.

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