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Im Spinnennetz der Stasi

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Die Wahrheit, wer schuldhaft handelte, ist nicht leicht auszumachen. Doch gibt es Kriterien zur Qualifizierung der sogenannten „IM"-Tätigkeit.

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Die Wahrheit, wer schuldhaft handelte, ist nicht leicht auszumachen. Doch gibt es Kriterien zur Qualifizierung der sogenannten „IM"-Tätigkeit.

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Im Land zwischen Elbe und Oder vertrat die katholische Kirche nur eine Minderheit von etwa zehn Prozent der Christen. Hier gibt es nur zwei mehrheitlich katholische Gebiete - in der sorbischen Oberlausitz und im Eichfeld an der „Zonengrenze". Alles andere ist Diaspora.

In der DDR-Verfassung war die Trennung von Kirche und Staat festgelegt, die freie Ausübung religiöser Kulte garantiert - was nicht verhinderte, daß die Ausübung dieser Religionsfreiheit auf den offenen oder hinhaltenden Widerstand der unteren Funktionäre stieß, etwa wenn die Nichtteilnahme an der Jugendweihe den Weg zum Abitur und zur Universität verbaute oder wenn der Rau eines kirchlichen Kindergartens mangels Baumaterialien abgelehnt wurde.

Die distanzierte Exaktheit auf höchster Ebene hinderte nicht, daß das Spinnennetz des Staatssicherheitsdienstes auch die Gläubigen der katholischen Kirche einschloß. Knotenpunkte dieses Spinnennetzes waren die „Führungsoffiziere", die sich eines Heeres von Zuträgern bedienten. Diese wurden als „IM", als „inoffizielle Mitarbeiter" ** mit einem Stichwort oder Codenamen zur Identifizierung - geführt und aktenmäßig erfaßt.

Für Heribert Schwan (siehe Seite 13) sind alle Priester, die als „IM" aufscheinen, „Verräter im schwarzen Rock". Tatsächlich muß „im Bereich der katholischen Kirche ... zwisehen drei Arten von IM unterschieden werden", heißt es in einer Presseerklärung des Bistums Dresden-Meißen.

I Da gibt es zunächst „Mitarbeiter, die eine schriftliche oder mündliche Verpflichtung eingegangen sind, mit dem MfS (dem Ministerium für Staatssicherheit) zusammenzuarbeiten". Bisher sei ein einziger Priester festgestellt worden, der hier einzureihen wärer er wurde erpreßt. Er hatte einem Gemeindemitglied zur Flucht in den Westen verholfen und stand damit we- _

gen „Beihilfe zur Republikflucht" unter Anklage. Um dem Verfahren zu entgehen, ließ er sich zur Mitarbeit überreden.

I Andere „Mitarbeiter" konnten sich nicht dagegen wehren, gelegentlich von Vertretern der Stasi besucht zu werden - sie sollten „abgeschöpft" werden (siehe Beitrag unten).

I Die dritte Gruppe der „IM" umfaßte jene kirchlichen Funktionäre, die von ihren Bischöfen offiziell beauftragt waren, Gespräche mit den staatlichen Behörden - und damit auch mit dem MfS - zu führen: Dis-semond und Michelfeit für die Bischofskonferenz, Hanisch für Dresden-Meißen. Naturgemäß waren diese Prälaten die bevorzugten Ziele der Observierungstätigkeit der Stasi.

Wie dies ablief, schildert Bernd Schäfer, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe der ostdeutschen Bischöfe zur Aufarbeitung der Stasi-Kontakte in der Kirche, in einem Bericht in der „Neuen Zeit", Dresden, an Hand des „Falles" des Dresdner Dompfarrers Günter Hanisch, Schwans erstem Opfer.

Hanisch' „Führungsoffizier" war Dieter Schanze, der zwischen 1981 und 1989 vom Leutnant zum Major avancierte - eine beachtliche Karriere in einer „Armee", die keine Kriegsverluste zu ergänzen hat. 1981 machte er sich an Hanisch heran, der gerade wegen eines Ausreiseantrags eines kirchlichen Mitarbeiters intervenierte. Die lange blockierte Reise wurde plötzlich möglich, als Hanisch nicht ablehnte, auch andere triftige Probleme mit Schanze zu besprechen. Hanisch meldete alle diese Kontakte auftragsgemäß seinen Bischöfen Schaffran und Reinelt und gab dann seine Gesprächsnotizen an seinen Nachfolger Otmar Faber weiter, als dieser zum Beauftragten ernannt wurde.

Schanze aber machte in seinen Berichten Hanisch nicht nur zum „IM ohne Verpflichtung", der nur „abgeschöpft" werden sollte, sondern ab 1983 zum „IM mit Feindberührung", mit dem - 1988 - „die Konspiration gewährleistet" wäre. Etwa fünfmal pro Jahr kamen Hanisch und Schanze zusammen, wobei in Schanzes Berichten über „IM Dom" Facts auftauchten, die Hanisch gar nicht wissen konnte, oder andere, die längst aus anderen Quellen bekannt waren.

„Obwohl Schanze nach achtjährigem Verhandlungskontakt im Treffbericht vom 30. Juni 1988 zweckoptimistisch wissen wollte: ,Der Kandidat öffnet sich immer mehr den Anliegen des MfS', mußte er 1989 erkennen, daß Hanisch in der Praxis nicht für das MfS einsetzbar war", berichtet Schäfer. Der letzte Eintrag ist vom 23. Juni 1989. Am 9. November fiel die Berliner Mauer, dann die DDR und mit ihr das MfS.

Für Schwan von der ARD aber sind die Berichte von Schanze und Konsorten Dokumente mit Wahrheitsgehalt. Die Gespräche mit den

„IM liefen in _

„konspirativen Wohnungen" ab (die von der Stasi entsprechend präpariert worden wären). Hanisch empfing seinen Gesprächspartner grundsätzlich nur in der eigenen Wohnung, wo er nicht abgehört werden konnte.

Schwan mußte sich den Vorwurf " der „Süddeutschen Zeitung" gefallen lassen, „aus trüben Quellen gefischt" zu haben. „Für den Wessi-Sender seien die Stasi-Aussagen offensichtlich glaubwürdiger als Gegenaussagen kirchlicher Mitarbeiter" zitiert die SZ aus kirchlichen Reaktionen. Bernd Schäfer jedenfalls hofft, bis zum Katholikentag in Dresden 1994 eine exemplarische Dokumentation über die Beziehungen zwischen Kirche und Staat in der DDR vorlegen zu können.

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