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Kein goldener Cadillac

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Wäre Saudi-Arabiens Größe nur bei Millionen Jahrestonnen und Milliarden Petrodollars gelegen, dann müßte der neue König Chaled, wie König Faisal 1974, zum „Mann des Jahres“ 1&75 ausgerufen, werden.; Dazu dürfte ihm aber Feisals überragende Persönlichkeit fehlen, die den eigentlichen Ausschlag für den Aufstieg des Wüstenstaates zur heimlichen Supergroßmacht gegeben hat.

Das von Feisal seit der Entdeckung von Saudi-Arabiens Erdölreserven zu Weltrang emporgeführte Reich war in seinem Inneren nie so stabil, wie das seinem immer mächtigeren Einfluß nach außen hin hätte entsprechen sollen. Das hat sich schon zweimal, und zwar beim Tod Ibn Sauds und bei der Ablösung seines immer unfähigeren Erben Saud Ibn Abdel Asis durch König Feisal, gezeigt und wird sicher das Hauptproblem der ersten Regierungszeit des neuen Herrschers Chaled werden, sofern die Ermordung Feisals nicht überhaupt schon ein Fanal größerer innerer Umwälzungen gewesen ist.

Weder Saud noch Feisal haben sich unter den Stämmen des Reichs jene Anerkennung und Resonanz verschaffen können, die ihr Vater Ibn Saud sich in jahrzehntelangem Kampf erworben hatte. Dazu kommt, daß sich durch die religiöse Sonderstellung der heute in Saudi-Arabien maßgeblichen Wahhabiten Gefahren für die Zukunft ergeben. Der wahhabitische Puritanismus findet bei weiten Kreisen der Bevölkerung immer weniger Anklang. In den weltaufgeschlossenen Kaufmannskreisen des Hedschas und bei der wachsenden Industriearbeiterschaft stößt er heute sogar auf offene Ablehnung. Auch ist der Gegensatz der Stämme, die im saudischen Einheitsstaat zusammengeschlossen sind, keineswegs endgültig überbrückt und im Untergrund des Geschehens schlummern noch Familienzwiste, die auf die Geschichte der Eroberungen Ibn Sauds zurückgehen.

So unbekannt König Chaled daher für Nahost- und Erdölerperten ist, so sehr betrachten ihn Kenner der innersaudischen Verhältnisse als den Mann der Stunde, geeignet, die gefährdete Reichseinheit aufrechtzuerhalten. Je weniger der Emir Chaled in den letzten beiden Jahrzehnten außerhalb der arabischen Halbinsel von sich reden machte, desto kräftiger hat er sich um die Stabilität des Staates und die Seß-haftmachung der Beduinenstämme verdient gemacht. Zur Ansiedlung dieser Stänjimel? intensivierte Chaled die noch von Ibn Saud gegründete „Ichwan-Bewegung“. Es ist das eine Art von religiöser Bruderschaft, in die Beduinen aus verschiedenen, oft feindlichen Stämmen aufgenommen und in denen sie verbrüdert werden. Später werden sie in den weniger fruchtbaren Gebieten des Landes angesiedelt, um diese landwirtschaftlich zu erschließen. Die Kolonien dieser Ichwan-Bruderschaft sind zugleich paramilitärische Garnisonen. In den über zwanzig Jahren, während welchen der heutige König für die „Kolonistenbrüder“ verantwortlich war, sind mehr als achtzig neue Siedlungen geschaffen worden. Sie zählen heute zu den wichtigsten des saudischen Kernlandes Nedschd. Uber hunderttausend Nomaden sind so zu Ackerbauern geworden, und damit zu einem Faktor staatlicher Solidarität; natürlich auch zu einer Art Hausmacht für Chaled, die jetzt bei der Feisal-Nachfolge zu seinen Gunsten ins Gewicht fallen mußte.

In Rijad wird erwartet, daß König Chaled mit der Übersiedlung in den prächtigen Regierungspalast der Saudi-Herrscher nichts von seinen im Umgang mit den Beduinen und Oasenbauernangenommenen

schlichten Lebensgewohnheiten ändern werde. Allerdings werden es ihm die Amtsgeschäfte kaum gestatten, seinen Hobbies, Falkenjagd und Kamelrennen, so ausgiebig wie Dis-her nachzugehen. Fast noch mühsamer als die politischen und wirtschaftlichen Aufgaben des Herrschers dürfte es aber sein, die aus 3000 männlichen Mitgliedern und 2000 Frauen und Prinzessinnen bestehende königliche Großfamilie unter Kontrolle zu halten.

Bei seinen Ausfahrten hat König Chaled, den ausländische Besucher der Begräbnisfeierlichkeiten für Feisal als einen „netten, gemütlichen Mann“ bezeichnet haben, schon dadurch Aufsehen erregt, daß er vorne neben dem Fahrer Platz zu nehmen pflegt. Auch hat er seinen alten Cadillac, mit dem er die Bruderschaften zu inspizieren pflegte, nicht mit einer der vergoldeten Limousinen seines Vorgängers vertauschen wollen.

An dem nach den fünf islamischen Gebetszeiten eingeteilten Tagesablauf im Palast von Riad hat Chaled vorerst nichts geändert Hofkreise wollen allerdings wissen, daß er ein noch wackerer Beter als sein toter Bruder ist Schwer scheint sich der neue König im Umgang mit ausländischen Besuchern zu tun, die nicht des Arabischen mächtig sind. Feisal, der seinem Vater Ibn Saud jahrelang als Außenminister gedient hatte, war hingegen im Englischen und Französischen bestens bewandert gewesen. Chaled Ibn Abdel Asis entschädigt seine Gäste allerdings nach der schwierigen Konversation via Dolmetscher gerne durch im Protokoll nicht vorgesehene Einladungen zu einem Hammelschmaus mit orientalischen Reisbeilagen.

Auf längere Zeit, wenn nicht für ganz entschwunden dürften für Chaled allerdings die fest mit Feisal verknüpften Hoffnungen auf eine rasche Wiedererrichtung des Kalifats in Verbindung mit der saudischen Königswürde sein. Chaled scheint aus diesem Grunde sowie vor allem wegen seiner Konzentration auf die internen Belange seines Landes für einen konzilianteren Kurs in der Jerusalem-Frage zu haben zu sein. Die arabische Position in dieser Frage hatte sich ganz besonders durch Feisals Justa-mentsstandpunkt verhärtet. Überhaupt scheint Chaleds neue Herrschaft nach Feisals nahezu die ganze Welt umspannendem Ehrgeiz mehr auf eine „splendid isolation“ des öl-und sandreichen Wüstenstaates ausgerichtet zu sein.

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