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König der reichsten Wüste

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Dschidda ist Handelsmetropole und internationales Einfallstor Saudi-Arabiens. Doch es ist keine gute Visitenkarte. Hier beginnen die Piligerzüge in die heilige Stadt Mekka. Hier, nicht im Verwaltungszentrum Er-Riad, residieren die ausländischen Botschaften. Hier gibt es einen Hafen und einen Flugplatz, der von vielen großen Gesellschaften auf ihren Routen von und nach Südarabien, Asien und Afrika angesteuert wird.

Der Flughafen ist einer der miserabelsten in der arabischen Welt. Als die Linienmaschine der „Middle East Airlines“ auf die holperige Piste stößt, glauben ängstliche Gemüter unter den Passagieren an eine Bruchlandung. Nach dem Ausrollen drängt alles erleichtert ins Freie. Draußen bescheint der fahle Mond eine groteske Szene: Gestalten in unordentlich zugeknöpften Khakijacken, darunter schmutzstarrende Galabiahs und nackte Füße, richten altertümliche Flinten auf die Ankömmlinge. Sie eskortieren sie schweigend zu dem einen knappen Kilometer entfernt gelegenen Empfangsgebäude; ein Fußmarsch, der die verwöhnten Fluggäste anderswo zu wütenden Protesten hingerissen hätte. Doch die Zivilisation — und die Gelegenheit, sich zu beschweren — endete in Beirut. Das merkt man spätestens, sobald man die baufällige Wartehalle betritt. Am Eingang muß man sich von einem Soldaten visitieren lassen. Er beschlagnahmt wortlos Handtaschen der Damen und Aktentaschen der Herren — und Zeitungen und Bücher.

Nach einer Viertelstunde endet der Alptraum. Jeder hat nur den Wunsch, rasch wieder in den DC-9-Jet zu gelangen. Dort ist die Luft wohltemperiert, und leise Musik macht träumen von einem Arabien, mit dem man eben Bekanntschaft schloß, ohne daß es einem richtig bewußt geworden wäre. Man ist froh, nicht im Königreich des Korans, der Wüste und des Erdöles zurückgeblieben zu sein.

Dieses Erlebnis ist ganz typisch für Saudi-Arabien. Es ist eines der verschlossensten arabischen Länder. Trotz seines ölreichtums ist es rückständig. Einreisevisa erteilt nur der König. Seine Botschaften verfügen noch nicht einmal über entsprechende Antragsformulare. Man richtet sein Gesuch am besten direkt an den Herrscher, und es dauert häufig Monate, bis er Genehmigung erteilt. Manchmal zieht er es vor, überhaupt nicht zu antworten.

Seit König Feisal seinen Halbbruder absetzen ließ, gedeiht manches zum Besseren. Radio Mekka sendet Unterhaltungsmusik und Nachrichten. Es gibt jetzt auch einige Mädchenschulen. Und Diebe verlieren, wenn man sie erwischt, zwar immer noch eine Hand, doch heutzutage wird sie nicht mehr einfach abgehackt und der Stumpf desinfektionshalber in siedendes öl getaucht, sondern es amputiert sie ein Chirurg. Das mögen für ein Land, das beim Hinscheiden seines Gründers, 1951, noch im Mittelalter lebte, große Fortschritte sein.

Feisal ist Staatsoberhaupt, Regierungschef und Außenminister in einer Person. Seine Familienmitglieder besetzen viele Kabinetts-posten. Seine Nachfolge ist keineswegs eindeutig geklärt. Und er ist ein alter Mann. Auf europäische Betrachter wirkt er wie eine faszinierende Märchengestalt aus Tausendundeiner Nacht. Er, der schon als Vierzehnjähriger selbständig mit der Londoner Regierung verhandelte; er, der Ibn, Saud auf dem Totenlager versprach, dem brüderlichen Thronfolger treu zu dienen; er, der den Älteren dann doch stürzte, als dieser Thron und Land zu verspielen drohte — er erregt die Phantasie. Er ist ein politisches Naturtalent. Aber kann er, der ausschließlich in den Traditionen seiner Familie und in den religiösen des Korans zu denken gewohnt ist, dem menschenleersten und reichsten arabischen Land echte Reformen geben? Die Frage beantwortet sich schwer, wenn man daran erinnert, wie viele Ämter er auf sich häufte und wie wenig politische und administrative Verantwortung er offenbar delegieren kann.

Für den Westen ist es eine verlockende Vorstellung, Feisal sei der aussichtsreiche Gegenspieler des revolutionären und antiwestlichen Nasserismus. Doch das ist vorläuflg Wunschdenken. König Saud I., sein Vorgänger, war der letzte Feudalherrscher alten Schlages. Feisal fördert gewisse Reformen. Aber er ist ein unbeliebter Monarch. Mit den mächtigen Stammesscheichs verdarb er es sich, weil er ihnen die vom Bruder gezahlten Suibsidieh verweigerte. Dem Mittelstand, der städtischen Intelligenz und den öl-arbeitern gehen die Reformen zu langsam, und seine Familie haßt ihn, weil er ihr den Geldhahn zudrehte. Für den Westen ist Feisal schon deshalb kein geeigneter Bundesgenosse, weil er in der Israelfrage, wie sich eben gezeigt hat, „Nasse-rianer“ ist.

Der König ist eine tragische Figur, persönlich integer und nicht unsympathisch, bemüht um Reformen. Aber: Wenn es für die arabische Zukunft in diesem Jahrhundert zu weiteren langfristigen Entscheidungen kommen sollte, könnten sie auf dieser Halbinsel fallen... Und der Westen täte folglich — schon wegen seiner ölinteressen — gut daran, beizeiten vorzusorgen.

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