6872389-1978_29_11.jpg
Digital In Arbeit

Merkwürdiges über Einsiedler

Werbung
Werbung
Werbung

In nichts unterscheiden sich die Menschen so sehr wie darin, worüber sie lachen, was sie als lustig, witzig oder komisch empfinden. Das kann man im engsten Familien- und Freundeskreis ebenso testen wie bei einem Millionen zählenden Bestseller-, Kinooder Fernsehpublikum. Und je eigenartiger, eigenwilliger oder kauziger ein Autor ist, um so mehr wird sein Publikum ein „spezifisches“ sein. Was aber nicht heißen soll: je origineller - um so kleiner die Auflage!

Wollte man jene Leserschicht kennzeichnen, die an dem Roman „Die Einsiedler des Anninger“ von Hans Heinz Hahnl ihre helle Freude haben wird, so mag man am ehesten an Leser und Bewunderer der Werke von Herzma-novsky-Orlando denken. Trotzdem ist Hans Heinz Hahnl, der vor allem als Lyriker von ausgeprägter Eigenart hervorgetreten ist, durchaus selbständig, was Sujet, Stil und Sprache betrifft - soweit diese überhaupt zu trennen sind. Und damit wir es nicht vergessen: Hahnls Sprache ist stets korrekt, ja lupenrein. Er braucht weder Dialekt noch irgendeinen Manierismus, um das zu beschreiben und auszusagen, worauf es ihm ankommt. In dieser Hinsicht erinnert er an Kafka, der ja auch die merkwürdigsten und phantastischsten Menschen, Verhältnisse und Vorkommnisse in einer völlig nüchternen, schmucklosen Sprache darstellt, im vielleicht korrektesten Deutsch, das von jener Schriftstellergeneration geschrieben wurde.

Doch zurück - vielmehr: hin! - zu den Einsiedlern des Anninger, zunächst zu Einsiedlern überhaupt. Aber - kann man denn überhaupt von „Einsiedlern“ verallgemeinernd sprechen? Das ist ja eine contradictio in se, denn Einsiedler kommen ja nur als Einzelwesen vor. Trotzdem wagt Hahnl die Definition: „Ein Einsiedler ist ein Mensch, dem Menschen auf die Nerven fallen.“ Einsiedler, wie Hahnl sie in seinem fingierten Forschungsbericht

am und auf dem Anninger beobachtet hat, sind aber durchaus keine frommen Eremiten. Es hat unter ihnen (also doch Plural!) auch Mörder und Lüstlinge gegeben. Das müssen wir schon auf Seite 1 des Hahnischen Buches schlucken. Aber um so heiterer, wenn auch keineswegs harmlos, geht es dann weiter. Denn nach Art etwa Voltaires in seinem „Candide“ oder der „Lettres persanes“ von Montesquieu wird an unserer Gesellschaft Kritik geübt. Hahnls Einsiedlerstudien sind keinesfalls nur historischer Natur. Ganz konkret wird der Sommer 1952 als jenes Datum bezeichnet, da der Autor erstmals Kontakt mit einem Einsiedler gehabt hat, und zwar mit Hay-mo, einem Einsiedler des Anninger, den es ja ebenfalls im Wienerwald, zwischen Baden und Mödling, in Wirklichkeit gibt. Einmal geraten die Einsiedler auch ins politische Schußfeld, was hier im genauen Bericht über eine „Anfragebeantwortung im österreichischen Parlament vom 24. Mai 1931“ geschildert wird. Es findet da ein heftiges Rededuell zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten statt, das von einigen Zwischenrufen eines „Rechtsaußen des Landbundes“ gewürzt wird.

Immer weiß Hahnl ganz genau, worüber er schreibt, auch seine lieben Wiener kennt er recht gut, „unter deren lächelnder Maske sich ein Ozean von Melancholie ausbreitet“. Das könnte von Nestroy sein. Solche Details könnte man spaltenlang aneinanderreihen - und hätte dann doch nur eine sehr fragmentarische Vorstellung der Einsiedler des Anninger gegeben. Wer sie also genau kennenlernen will, kaufe sich das amüsante Buch und lese selbst nach.

DIE EINSIEDLER DES ANNINGER. Von Hans Heinz Hahnl. Europaverlag, Wien, 1978. 226 Seiten, öS218-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung