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„Mode, die sich für kritisch hält“

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Am 1. Oktober 1903 erschien die erste Nummer des „Hochland, Monatsschrift für alle Gebiete des Wis-5ens, der Literatur und Kunst“. Herausgeber war Karl Muth. Es war seine erklärte Absicht, den deutschen Katholizismus aus dem geistigen Getto zu befreien, in den er seit dem Bismarckschen Kulturkampf hineingeglitten war. An diesem Programm hat das „Hochland“ bis zu seinem Verbot 1941 festgehalten. Nach dem Krieg hat es unter Franz Josef Schöningh einen neuen Aufschwung genommen, die Auflage stieg auf fast 20.000 Exemplare, um dann langsam abzubröckeln. Als Schöningh 1960, erst 58 Jahre alt, starb, hatte es 9400 Exemplare, dann sank es unter Karl Schaezler und Franz Greiner bis auf 6000 ab. Es signalisierte die Gleichgültigkeit einer sich immer mehr säkularisierenden Kultur, als Kehrseite des Schwundes christlicher Substanz.

In Erkenntnis dieser Lage hat sich der traditionelle Hochland-Verlag, Kösel in München, entschlossen, ein „neues hochland“ zu versuchen und die neue Zeitschrift, kleingeschrieben, auch so zu nennen. Redakteur ist Helmut Lindemann, 1912 in Kiel geboren, Jurist und Journalist mit Schwerpunkt der Arbeit in der evangelischen Kirche und der Politik. Das erste Heft in neuer Aufmachung, unter dem Generalthema „Armut“, kam im Februar 1972 heraus. Die wichtigsten Beiträge sind von dem Tübinger Pädagogen Colla, dem Bundesminister Eppler, dem Polit-wissenschaftler Fetcher, dem Theologen K. Rahner und dem Politologen Th. Ellwein. Dazu kommt ein Vorwort von Lindemann mit den Sätzen: „Die Aufgabe dieser Zeitschrift wird die Ergründung und, soweit möglich, die Besserung dessen sein, was zur Zeit ihrer Gründung die Gebildeten wohl noch unbedenklich die conditio humana genannt hätten. Heute spricht man eher mit Heidegger von der „Befindlichkeit“ des Menschen. Zur Klärung dieser Befindlichkeit im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts beizutragen, ist die vordringlichste Aufgabe, die sich das ,neue hochland' gestellt hat.“

Aus der soziologischen Thematik, den Namen der M tarreMer und dem Lindemannschen Programm geht hervor, daß das „neue hochland“ keine katholische Zeitschrift mehr sein will und sein wird. Ausdrücklich beruft Lindemann sich auf ein Wort des Apostels Paulus: „Der Glaube ist nicht jedermanns Sache.“ Die Zeitschrift steht also vor der Aufgabe, einen neuen Weg zu suchen und eine Zielvorstellung zu entwickeln. Einen Hinweis, in welcher Richtung das geschehen wird, gibt die Idee, jedes Heft unter ein Leitwort zu stellen. Das erste ist die Armut. Das „neue hochland“ wird also versuchen, im Reigen der soziologisch fixierten Blätter mitzumachen. Von Literatur, Kunst, Philosophie und Theologie werden wir vermutlich wenig hören, aber desto mehr von Politik, Soziologie und den Fragen des alten und neuen Marxismus, von Entwicklungsländem und den Problemen der Dritten Welt.

Die Wichtigkeit dieser Themen steht außer Frage. Man kann es jeden Tag in der Zeitung lesen, und wahrscheinlich hängt unser Schicksal viel mehr davon ab, ob wir mit dem Problem der Armut und des Reichtums fertigwerden als mit dem, was Karl Muth auf seine altmodische Weise „alle Gebiete des Wissens“ nannte. Auch Muth gründete seine Zeitschrift in fast aussichtsloser Lage. Der Markt war überschwemmt. Muth sagte: „Die zahllosen Halbheiten, mit denen allein in den letzten Jahren Dutzende von Herausgebern vor das Publikum getreten sind, haben Mißtrauen gezüchtet und Gleichgültigkeit gegen das Neue.“ Muth wollte das katholische Publikum ansprechen; darin lag die Voraussetzung seines Erfolges. Hier lag das Besondere des „Hochland“. Das „neue hochland“ verzichtet auf diese Ausgangslage, angeblich besteht sie nicht mehr. Statt dessen möchte es den Trend der analytischen Zeitschriften mitmachen, jene Mode der Zeit, die sich für kritisch hält.

Als Muth sein „Hochland“ gründete, war die Lage nicht so verschieden von der unseren, wie man suggerieren möchte. Auch damals gab es Gleichgültigkeit in Dingen der Religion, der Theologie und der sozialen Frage. Es gab Unentschieden-heiten und Halbheiten, den bedenkenlosen Lebensgenuß einer „belle epoque“ und schreiendes soziales Unrecht. Es gab keine nennenswerte christliche Kunst, Literatur, Philosophie; die Theologie war eine Geheimwissenschaft. Genau wie heute gab es eine christliche Partei, von der sich Muth zu distanzieren wußte, so wie später Schöningh sich von unseren christlichen Parteien distanzierte. Muth hat dann — sozusagen aus dem Nichts heraus — eine katholische Kerntruppe geschaffen, die Intelligenz um sich geschart und die Rückkehr weiter Schichten der Gebildeten zur Kirche erleichtert. Dem kleingeschriebenen „neuen hochland“ möchte man wünschen, daß es nicht vergißt, daß es noch andere „Befindlichkeiten“ des Menschen gibt als die soziologischen, und es nicht damit getan ist, einen Startheologen von odysseischer Vielseitigkeit wie Rahner über die Armut plaudern zu lassen.

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