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Prophet des Untergangs

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Spengler selbst erhob den Anspruch, Geschichte vorauszubestimmen. Dabei ging es ihm im speziellen darum, das Schicksal einer Kultur, und zwar der einzigen, die heute auf diesem Planeten in Vollendung begriffen ist, nämlich der westeuropäischen - amerikanischen, in den noch nicht abgelaufenen Stadien zu verfolgen. Als Grundlage hiefür diente ihm eine umfassende Morphologie der Weltgeschichte und die daraus resultierende Methode des physiognomischen Vergleichs.

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Spengler selbst erhob den Anspruch, Geschichte vorauszubestimmen. Dabei ging es ihm im speziellen darum, das Schicksal einer Kultur, und zwar der einzigen, die heute auf diesem Planeten in Vollendung begriffen ist, nämlich der westeuropäischen - amerikanischen, in den noch nicht abgelaufenen Stadien zu verfolgen. Als Grundlage hiefür diente ihm eine umfassende Morphologie der Weltgeschichte und die daraus resultierende Methode des physiognomischen Vergleichs.

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In gewissem Sinne könnte man Spengler als einen Vorläufer der modernen Futurologie bezeichnen, obwohl dieser selbst das Wort noch nicht gekannt hat und die heutigen Futurologen ihn wohl kaum als einen der ihren anerkennen würden. Denn Spenglers Futurologie erstrebte nicht Voraussage als Utopie, sondern vorauseilendes Urteil in einer entscheidenden Zeitfrage.

„Es handelt sich nicht mehr darum, nach dem privaten Geschmack einzelner oder ganzer Massen die Dinge und Ereignisse im Hinblick auf eine rationalistische Tendenz oder auf eigene Wünsche hin zu deuten. An die Stelle des ,so soll es sein' oder ,so sollte es sein' tritt das unerbittliche ,so ist es oder so wird es sein'.”

Das war Spenglers antiutopisches Credo. An Stelle der „Sentimentalitäten” des vorigen Jahrhunderts verkündete er eine starke Skepsis, die es zu ertragen vermag, daß die Geschichte nicht im geringsten auf unsere Erwartungen und Hoffnungen Rücksicht nimmt. Spengler prophezeite ein neues „eisernes Zeitalter” des Cäsarismus, des Imperialismus, der Weltkriege und der Weltrevolutionen. Der tatsächliche Verlauf der Dinge hat eine Reihe von Spenglers Prognosen bestätigt, andere widerlegt.

Alles in allem wird man jedoch sagen müssen, daß er die endgültig in die Phase der „Zivilisation” eingetretene abendländische Kultur in wesentlichen Grundzügen richtig erkannt hat. Man denke etwa an sein 1931 erschienenes Buch „Der Mensch und die Technik”, in dem er in erstaunlicher Klarsicht viele unserer zivilisationskritischen Erfahrungen vorwegnimmt, ohne der heute so beliebten Zivilisationsdesertion das Wort zu reden.

Als politischer Schriftsteller bestätigte und verstärkte Spengler die Emotionen und Aggressionen der deutschen Rechten. Im politischen Endeffekt richtete sich seine Wirksamkeit gegen die parlamentarische Demokratie der Weimarer Republik.

Daran ändert auch nichts, daß Spengler selbst kein Nationalsozialist war. Er haßte zwar die parlamentarische Demokratie, aber die Nazis, die ihr in Deutschland ein Ende bereiteten, nannte er verächtlich eine Organisation der Arbeitslosen durch die Arbeitsscheuen. Aus nationalsozialistischer Perspektive gesehen war er ein „Rechtsabweichler”, ein „Reaktionär”.

Nichtsdestoweniger wird man sagen müssen, daß Spengler durch seine wortgewaltige Bekämpfung der humanistischen und demokratischen Tradition des Westens dem braunen Gewaltregime ungewollt den Boden bereitet hat. Daß sich das Regime zumindest anfänglich mit Spenglers hemmungsloser Verherrlichung des nackten Macht-und Gewaltstaates aus propagandistischen Gründen nicht identifizieren konnte, liegt auf einem anderen Blatt.

Spengler seinerseits war viel zu elitär, als daß er einer Massenbewegung, die er im Grunde verachtete, viel abzugewinnen vermochte. Dieeinzige Begegnung mit Adolf Hitler, die in Bayreuth stattfand, verlief eher enttäuschend.

Wie immer die übliche, stets auch Spengler einbeziehende Kennzeichnung des Zusammenhangs von rechtsintellektueller publizistischer Tätigkeit in den zwanziger Jahren einerseits und Nationalsozialismus andererseits ausfallen mag - der Wirkungszusammenhang ist zu komplex, um eine eindeutige Zurechnung von Verantwortung, gar Schuld festlegen zu können.

Mag uns Oswald Spenglers „intellektuelle Exaltation” (Hermann Lübbe) auch noch so befremdlieh anmuten, so sind uns andererseits poli-tisch-existentialistische Erweckungs-programme dieser Art nur allzu vertraut. Was sich geändert hat, sind einzig und allein die Vorzeichen.

Hauptadressat ist stets die unreife Generation, die Jugend in ihrer unbedingten Bereitschaft zum Engagement. Politische Wirkungen auf Dauer lassen sich auf diesem Weg jedoch nicht erzielen und eben darum ist der „Fall Spengler” auch eine Illustration des Themas „Macht und Ohnmacht der Intellektuellen”.

Bleibt schließlich Spengler als Prognostiker. Vergeblich wird man in seiner Untergangs-Theorie Elemente ei; ner prognostischen Theorie suchen, vielmehr ist die These selbst nur eine Metapher, deren intellektueller Reiz ihre Vieldeutigkeit ist.

So gesehen ist heute Spengler aktueller denn je. Die Zahl der Warner, die dieser Zivilisation den Untergang voraussagen, nimmt ständig zu. Spenglers Zivilisationskritik unterscheidet sich von der heutigen insofern, als er sich der als notwendig erkannten Entwicklung nicht entgegenstellen wollte, sondern letztere in einer Art von heroischem Nihilismus in „fatalistischer Wut” (so die Charakteristik von Thomas Mann) als unabwendbares Schicksal bejahte.

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