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Frankreich entdecken

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Auf dem Weg nach Frankreich vernichten Sie sämtliche Reiseführer, vergessen Sie alle Berichte und verbieten Sie Ihrer Umgebung, Tips zu geben. Fahren Sie zuerst nach Paris und beginnen Sie dort in dem Bewußtsein, keine Ahnung von Frankreich zu haben, Ihre Erkundungstätigkeit. Sie werden es vielleicht nicht glauben, aber am besten wäre, Sie wüßten nicht einmal, daß es den Eiffelturm gibt oder daß im Louvre die Mona Lisa hängt. In einem kleinen Pariser Hotel angekommen, freuen Sie sich vorerst darüber, daß Ihr Doppelzimmer mit Dusche um 30 Francs recht komfortabel und sauber ist. Dann tun Sie längere Zeit nichts. Rein gar nichts. Auch wenn die Urlaubszeit verrinnt, das Hotelzimmer etwas kostet und wohlmeinende Reiseführer Ihnen einen Katalog von Sehenswürdigkeiten anpreisen.

Haben Sie es vermocht, eine Zeitlang nichts zu zu tun, so wagen Sie einmal einen kurzen Spaziergang. Striktes Verbot: Sie dürfen den Hotelportier nicht fragen, wohin Sie zu gehen haben. Gebot: Merken Sie sich, wie das Hotel heißt und in welcher Straße es steht. Schlendern Sie gemächlich dahin und wundern Sie sich, wie rasch ein Pariser zu gehen vermag. Werfen Sie hie und da einen Blick in eine Vitrine. Vielleicht fällt Ihnen auf, daß ein schicker Hosenanzug, der in Wien rund 2000 Schilling kostet, um 200 Francs — 1000 Schilling — angeboten wird. Freuen Sie sich über die Entdeckung und versuchen Sie weiter nichts zu tun. Schlendern Sie zu den Boulevards, trinken Sie in einem netten, klei-

nen Lokal einen Kaffee und lassen Sie Ihren Gedanken freien Lauf.

Der nächste Hunger kommt bestimmt. Achten Sie bei Ihrem Spaziergang auf die zahlreichen Restaurants. Werfen Sie einen Blick auf die Speisenkarte und gustieren Sie. Auch wenn Sie vielleicht die Sprache nicht beherrschen, so genügt meist schon der Blick auf die Karte, um einen gesunden Appetit zu wecken. Seien Sie nicht traurig, daß genau jenes Restaurant, das Ihnen zusagen könnte, ein Menü um 15 Francs — 75 Schilling — anpreist. Beachten Sie nur, daß die Speisenfolge zwei Vorspeisen, eine Hauptspeise und ein Dessert umfaßt. Unter diesem Aspekt wird Ihnen das Essen nicht mehr so teuer vorkommen, und letztlich steht es Ihnen auch frei, in einem Bistro um 6 Francs zu essen.

Bestimmt sitzen Sie wenige Minuten später in dem ach so teuren Restaurant und genießen die Aufmerksamkeit des Kellners, das Ritual der Vorbereitungen und schwelgen in der Atmosphäre französischer Eßkultur. Unversehens sind Sie im Herzen Frankreichs gelandet. Ohne Reiseführer, ohne Are de Trlomphe.und Louvre — .sitzen Sie mit Franzosen bei einer Beschäftigung, die sie zu höchster Kultur erhoben haben. Und wenn Sie einmal die Essenskultur gelernt haben, so können Sie vielleicht erahnen, welche Raffinessen das französische Leben überhaupt bietet.

Wenn ein edler Cognac ihrer Mahlzeit eben den letzten Schliff verleiht, haben Sie vielleicht Lust bekommen^ Frankreich zu erobern.

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