7039195-1990_09_16.jpg
Digital In Arbeit

Umschwung

Werbung
Werbung
Werbung

In Deutschland steht ein Umschwung bevor, denn der Schwung der Deutschlandpo­litik ist weg. Die Pleite der DDR läßt keinen schnellen Aufschwung erwarten und die großdeutsche Einheits-Eu­phorie befindet sich in rasan­tem Abschwung.

In Ost- wie in Westeuropa ' hat man das noch kaum ge­merkt. Die lieben Nachbarn schauen schließlich nicht dem Volk aufs Maul, sondern al­lenfalls unseren Politikern. Die reißen es ja schließlich auch am weitesten auf. Manch einer hat wie ich den Zustrom von DDR-Flüchtlin­gen seit letztem Sommer mit Sorge und Mißtrauen beglei­tet. Aber nicht aus Neid, son­dern weil man leicht vorher­sehen konnte, daß das in Westdeutschland nicht lange gut gehen kann. So ein Stim­mungsbremser wie ich war noch vor kurzem ein unpa­triotischer Einheits-Muffel, undeutscher Vaterlandsver­räter und Versager vor der deutschen Geschichte.

Inzwischen hat die Stim­mung in der Bevölkerung umgeschlagen. Nur noch „Bild" und die übrige Sprin­gerpresse jubeln ihre Ein­heits-Hysterie hemmungslos über die erschreckt eingezo­genen Köpfe der Bevölkerung hinweg.

Nun möchte ich nicht be­haupten, daß die Westdeut­schen, erst recht die Bayern nicht hilfsbereit und opfer­freudigwären. Aber die Hilfs­bereitschaft hört in unserer Bevölkerung schnell auf, wenn sie merkt, daß sie nur von Schnorrerkönigen ausge­nutzt wird.

In ihrer großen Mehrheit fallen die „Zonis" nämlich dadurch auf, daß sie sich nicht nach harter Arbeit und lei­stungsgerechtem Lohn seh­nen, sondern nach schnellem Konsum, sozialer Bevorzu­gung, unverschämten An­sprüchen und großzügiger Unterstützung.

Gleichzeitig tut die Regie­rung der DDR samt ihrem runden Tisch im Hintergrund keinen ernsthaften Handgriff, um das Konkurssystem abzu­schaffen und die gesetzlichen Grundlagen für eine soziale Marktwirtschaft zu legen. Man sagt in Ost-Berlin nur kurz und bündig: Bitte keine Bevormundung aus dem Westen, sondern einfach mal 15 Milliarden D-Mark rüber-schütten in unser Faß ohne Boden!

Unsere Politiker in der Bun­desrepublik denken inzwi­schen mit verteilten Rollen darüber nach, wer die Kosten tragen soll, um den DDR-Karren Wiederaus dem Dreck zu ziehen. Der eine denkt an Steuererhöhung, der andere an Notgroschen, der eine denkt an Lastenausgleich, der andere an Lohnverzicht. Und wer im Herbst verspricht, daß er die deutsche Einheit kräf­tig bremst, der wird unser nächster Bundeskanzler.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung