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Vor der Katastrophe gab es Bürgerrechtskämpfer

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Erstes Lebenszeichen der rumänischen Bürgerrechtskämpfer war ein Brief des Romanciers Paul Goma an „Pavel Kohout und seine Kameraden” im Februar dieses Jahres. Goma bekundete darin seine Solidarität mit den Verfassern der tschechoslowakischen „Charta 77”. Unbekümmert prangerte Goma in seinem Brief die Unterdrückung der Tschechen, Slowaken, Ungarn und Ostdeutschen durch die Sowjets an und scheute sich nicht, zu behaupten, die Rumänen litten unter einer noch schmerzhafteren und wirksameren „inneren rumänischen Okkupation”. Wörtlich: „Überall derselbe Mangel an menschlichen Grundfreiheiten, dieselbe Verspottung des Menschen, dieselbe Unverschämtheit der Lüge; überall Gewalt, Wirtschaftschaos, Demagogie, Unsicherheit und Terror.” Goma sprach seinem Berufsstand gleichzeitig Mut zu: „Die Schriftsteller werden die programmatische Degradierung des Menschen durch den stalinistischen Sozialismus überwinden, weil unser Wort eine schärfere Waffe als der Säbel ist.” Schließlich erwähnte Goma noch einmal die „geistige Solidarität einer großen Zahl von rumänischen Intellektuellen mit den Unterzeichnern der .Charta 77’ “.

Zwei rumänische Exilliteraten hatten Gomas Brief mitunterschrieben: Dumitru Tsepeneag, Chefredakteur der in Paris erscheinenden Zeitschrift „Cahiers de l’Est”, und Virgil Tanase, der erst vor kurzem in den Westen emigriert ist.

Bukarester Menschenrechtsfeinde apostrophieren den 42jährigen Goma schlicht als „Berufsdissidenten”. Bereits als 16 Jahre alter Gymnasiast war er wegen politischer Aktivitäten eingesperrt worden. Zur Zeit des ungarischen Volksaufstandes im Jahre 1956 wurde der Hochschüler Goma. abermals festgenommen und zwei Jahre lang eingekerkert. Es folgten vier Jahre Zwangsarbeit im Süden des Landes und erst im Jahre 1965 konnte er an die Bukarester Universität zurückkehren, wo er die Studien kurze Zeit später aber wieder aufgab.

Gomas erste literarische Arbeiten wurden 1966 publiziert. Mehrere Zeitschriften veröffentlichten seinen Roman „Ostinato”, der viele autobiographische Züge trägt. Im August 1968 erschien ein Band mit Kurzgeschichten. Während der Sowjetinvasion in die ČSSR trat Goma mit anderen jungen Literaten in die rumänische KP ein, sein Roman „Ostinato” wurde dennoch nicht in Buchform veröffentlicht, obwohl ihm dies versprochen worden war. Das Werk erschien 1971 in der Bundesrepublik und kurz darauf in Frankreich. Ähnlich verfuhren die Behörden mit seinem Roman „Usa” (Das Tor). Sein letztes Werk „Gherla” (Name eines rumänischen Gefängnisses) erschien ebenfalls in Frankreich und ist ein halbdokumentarisches Werk. Sozusagen Gomas „Gulag”.

Auf Einladung einer westdeutschen Organisation kam Goma im Juni 1972 in die BRD. Er verbrachte ein Jahr abwechselnd in der Bundesrepublik und in Frankreich. In dieser Zeit schrieb er eine ausführliche Analyse und Kritik der Literaturzensur. Diese Arbeit wurde in der Wochenschrift „Die Zeit” abgedruckt.

Bukarest erlaubte Goma, sein Heimatland unter der Voraussetzung zu verlassen, daß er im Ausland bleibe. Trotzdem kehrte er nach Bukarest zurück und bekam seine alte Stellung als Redakteur der Wochenzeitschrift des Schriftstellerverbandes „Romania Literara”, eine Stellung, die er aber bald wieder verlor. Aus der Partei wurde er auf eine recht originelle und ungewöhnliche Weise ausgeschlossen. Offizielle Parteistellen behaupteten, daß er wegen einiger Unregelmäßigkeiten in seinem Aufnahmeantrag niemals reguläres Parteimitglied gewesen sein. 1975 wurde ihm der Reisepaß verweigert, folglich mußte er westliche Einladungen ablehnen.

Im Sommer des vergangenen Jahres teüte Goma in den „New York Times” der westlichen Kulturwelt mit, daß ihm und seiner Gattin jede literarische und physische Arbeit verboten wor den sei. Mit ihrem einjährigen Sohn mußte die Famüie Goma in den Karpaten von kläglichen Unterstützungen und spärlichen Honoraren aus dem Westen ihr Leben fristen. Goma schickte daraufhin 1976 mehrere Protestbriefe in den Westen, in denen er sich über die unhaltbaren Verhältnisse in seinem Heimatland beklagte.

Einige Tage nach Gomas Aktion für die „Charta-77”-Unterzeichner richtete eine Gruppe von Bürgerrechtskämpfern einen Appell an die 35 Nationen, die das Helsinki-Dokument unterzeichnet hatten. Außer Goma und seiner Frau unterschrieben sechs weitere Personen. Neben den Menschenrechten verlangten sie die Gewährung des Rechtes auf Arbeit im eigenen Beruf, Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, das Brief- und Telephongeheimnis und den Schutz der Gewissensfreiheit. Diese Rechte sind allesamt in der rumänischen Verfassung ausdrücklich garantiert. Die Unterzeichner bestanden auch auf freier Wahl des Wohnsitzes und auf dem Recht zur Auswanderung. Auch Informationsfreiheit und uneingeschränkte persönliche Kontakte wurden als unerläßlich hervorgehoben. Insofern gingen die rumänischen Dissidenten also noch weiter als ihre tschechoslowakischen Gesinnungsfreunde.

Bemerkenswert ist die nationale Zusammensetzung der rumänischen Gruppe. Die Rumänen dominieren natürlich. Außer Goma und seiner Frau gehören zu ihnen auch Serban Stefan- escu, Enkelkind eines ehemaligen Innenministers im Königreich und das Malerehepaar Carmen und Sergiu Manoüu. Daneben haben auch der Volksdeutsche Musiker des Bukarester Symphonieorchesters, Erwin Gesswein, mit seiner Ehefrau Emüa und der ungarische Metallarbeiter Bėla Fehėr das Dokument unterzeichnet. Der 32jährige Ungar ging zweimal Ulegal über die rumänisch-jugoslawische Grenze, wurde aber zurückgeschickt und mußte zwei Jahre im Kerker verbringen. Der 43jährige Deutsche Gesswein versuchte mit seiner rumänischen Frau, zwei Kindern und seinen kranken Eltern in die Bundesrepublik auszuwandern. Vergeblich.

Bisher haben die rumänische Regierung und die Parteiführung sehr vorsichtig auf die Aktionen der Bürgerrechtskämpfer reagiert. Fraglich ist, ob sie es weiterhin tun werden, nachdem in Sofia die osteuropäischen Ideologiepäpste für Strenge und Härte plädiert haben. Dissidenten sollen in Zukunft nicht isoliert behandelt werden, sondern nach Sowjetprinzip, also pauschal und rücksichtslos.

Interessant ist, daß die rumänische Parteipresse sich bisher mit der „Charta 77” und mit den Bürgerrechtskämpfern in den kommunistischen Bruderstaaten überhaupt nicht beschäftigt hat. So war es auch bei der Ausweisung Solschenizyns gehandhabt worden. Die Massenmedien verschwiegen Gomas Brief und die gesamte Bürgerrechtsbewegung in Rumänien. Nur Eugen Barbu unternahm im Bukarester Rundfunk einen polemischen Angriff gegen Goma und Tsepeneag.

Bis jetzt wollten die Behörden die Bedeutung der ganzen Bewegung bagatellisieren und unterspielen. Carmen Manoüu und ihr Sohn durften sogar nach zehnjähriger Wartezeit das Land verlassen. Daraus auf eine andauernde Liberalisierung zu schließen, wäre trotzdem verfrüht.

Nach der furchtbaren Erdbebenkatastrophe hat sich die Situation allerdings völlig verändert. Das menschliche Leid, das nach diesem Beben im ganzen Land zu finden ist, wiegt ungleich schwerer als die,Auseinandersetzungen mit Bürgerrechtskämpfern. Ob die Trauer über die vielen Opfer hier oder dort in Zorn gegen das Regime umschlägt, das in den ersten Tagen nach der Katastrophe Hüfslie- ferungen aus dem Westen nicht annehmen wollte, ist nicht abzusehen.

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