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Zivile Schüsse

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Trotz des ständigen Ausbaus der Befestigunganlagen entlang der Zonengrenze setzen die Grenztruppen der DDR nach wie vor Tausende von sogenanten Freiwilligen Grenzhelfern, ein, um das Grenzgebiet besser überwachen zu können. Wie aus zuverlässiger Quelle zu erfahren war, wurden in letzter Zeit in den Dörfern an der Grenze zur Bundesrepublik zahlreiche neue Grenzhelfer — in der Regel Parteimitglieder oder Reservisten der bewaffneten Organe, die im Grenzgebiet leben oder arbeiten — angeworben und in Grenzhelfergruppen eingegliedert.

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Trotz des ständigen Ausbaus der Befestigunganlagen entlang der Zonengrenze setzen die Grenztruppen der DDR nach wie vor Tausende von sogenanten Freiwilligen Grenzhelfern, ein, um das Grenzgebiet besser überwachen zu können. Wie aus zuverlässiger Quelle zu erfahren war, wurden in letzter Zeit in den Dörfern an der Grenze zur Bundesrepublik zahlreiche neue Grenzhelfer — in der Regel Parteimitglieder oder Reservisten der bewaffneten Organe, die im Grenzgebiet leben oder arbeiten — angeworben und in Grenzhelfergruppen eingegliedert.

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Bei der Abriegelung der Westgrenze und der Vereitelung von Fluchtvorhaben von DDR-Bürgern werden die Grenztruppen der DDR schon seit geraumer Zeit durch eine beträchtliche Zahl sogenannter Freiwilliger Helfer unterstützt. Wie aus einem Artikel in der „Armee-Rundschau” hervorgeht, sind die Freiwilligen in „Grenzhelferzügen” zusammengefaßt, die den Chefs der Grenzkompanien unterstehen. In den letzten Jahren ist die Formierung der „Grenzhelfer” und ihre Integrierung in das System der Grenzsicherung spürbar vorangetrieben worden.

Aus einem vertraulichen Bericht des Chefs der DDR-Grenztruppen, Generaloberst Erich Peter, an das ZK der SED wurde bekannt, daß durch die Grenzhelfer mancher Fluchtversuch vereitelt wird. In seinem Bericht lobte der Chef der DDR-Grenztruppen die ausgezeichnete Arbeit der Grenzhelfer. Auf einem Forum mit Freiwilligen Grenzhelfem erklärte Erich Peter, in der gegenwärtigen Zeit des Klassenkampfes zwischen beiden Systemen sei die militärische Überlegenheit der sozialistischen Grenztruppen eine entscheidende Voraussetzung „für die Bewahrung und Verteidigung des Friedens”. Dieses Ringen um militärische Überlegenheit sei für die Angehörigen der Grenztruppen ein anstrengender Auftrag, bei dem es auch für die Freiwilligen Grenzhelfer keine Gefechtspause gebe.

In der Tat üben die Freiwilligen Grenzhelfer ihren Dienst sehr zu- verläßig im Sinne des SED-Regimes aus. Sie werden von den Grenzeinheiten zum Streifendienst herangezogen und auch für ihre regelmäßige politische und militärische Ausbildung sind die Chefs der Grenztruppen verantwortlich. In vielen Fällen wurden Freiwillige Grenzhelfer als Hundeführer ausgebildet. Aber auch die regelmäßige Ausbildung an Handfeuerwaffen ist an der Tagesordnung. Diese Waffenausbildung umfaßt mindestens 25 Stunden im Monat. Hauptaufgabe der Grenzhelfer ist auch die Beobachtung und Ermittlung von sogenannten Schwerpunkten. Hier werden die Grenzhelfer von Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit angeleitet. Man könnte diese Tätigkeit als einen Sonderzweig des Spitzelwesens bezeichnen.

Inzwischen wurden auch Beispiele bekannt, daß es den Grenzhelfem gelang, Fluchtversuche zu vereiteln. Das sieht dann so aus;

• Ein 40jähriger Mann wollte bei Diesdorf die Grenzhindernisse überwinden. Getarnt als Pilzsammler, näherte er sich der Zonengrenze. Kurz vor dem sogenannten Schutzstreifenzaun, der sich etwa 200 bis 300 Meter vor der Demarkationslinie befindet, wurde der Flüchtling von einem Grenzhelfer gestellt, der sofort einen Warnschuß aus einer Pistole abgab. Wenig später wurde der Flüchtling von Grenzsoldaten abgeholt. Der Grenzhelfer erhielt eine Kopfprämie von 150 Mark.

• Ähnlich erging es einem 31jähri- gen Mann, der in der Nähe der Ortschaft Römhild die Zonengrenze überwinden wollte. Fast zwei Tage lang irrte der Flüchtling ungesehen innerhalb der Sperrzone umher und suchte nach einem geeigneten Grenzübergang. Als er dann den Mut verlor und die Sperrzone in Richtung DDR wieder verlassen wollte, wurde der Mann von einem Grenzhelfer festgenommen. Dieser lieferte den Flüchtling der zuständigen Grenzbrigade aus. Auch in diesem Fall kassierte der Grenzhelfer eine Kopfprämie von 100 Mark.

• Ein besonders tragisches Schicksal erlitt ein junges Ehepaar während eines Fluchtversuches in der Nähe der Ortschaft Berstungen. Die beiden jungen Menschen waren scheinbar unbemerkt bis an den Todesstreifen herangekommen, als ohne Anruf gezielt auf sie geschossen wurde. Während die Frau von einer Kugel getroffen zusammenbrach, ließ sich der Mann widerstandslos von dem Heckenschützen — der sich als Grenzhelfer entpuppte — festnehmen. Schon nach wenigen Minuten waren Angehörige der Grenztruppe am Ort des Geschehens und holten die Flüchtlinge ab. Der Freiwillige Grenzhelfer wurde für seine „vorbildliche Leistung” mit der Medaille „für vorbildlichen Grenzdienst” ausgezeichnet.

Die Zahl der gelungenen Fluchtversuche von DDR-Bewohnem ist in den ersten acht Monaten des Jahres 1974 gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres um 30 Prozent gesunken. Das wird unter anderem auf die massive Kampagne Ost-Berlins gegen westliche Fluchthelfer und auf den verstärkten Einsatz Freiwilliger Grenzhelfer zurückge- fiihrt. Insgesamt brachten die DDR- Söldner seit dem Mauerbau 164 Menschen, die fliehen wollten, um. 69 von ihnen sind an der Berliner Mauer verblutet, 95 an der Demarkationslinie zur Bundesrepublik. Die wirkliche Zahl der Todesopfer liegt jedoch wesentlich höher, da viele Todesfälle erst nach Jahren registriert werden konnten.

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